Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].an dem Tage gar oft den steilen Weg zum Schloß hinauf mit Stößen von Briefen und Telegrammen. Auch Schachteln brachten sie, denen der Gärtner große Sträuße von Blumen entnahm; die kamen von Freunden Großmamas aus Städten, und sie mußten dort wohl etwas Künstliches angenommen haben, denn sie rochen anders als die Blumen im Garten. Der feierlichste Moment aber war der Kirchgang in die Schloßkapelle, denn auf welchen Tag Großmamas Geburtstag auch immer fallen mochte, es war doch jedesmal, als ob es Sonntag sei. Die Schloßkirchenglocke läutete, der alte Pastor und der alte Kantor kamen aus dem Dorf herauf, und es wurde ein richtiger Gottesdienst gehalten. Alle Jahre hatten das die Enkel erlebt, und schon als sie noch ganz klein gewesen, hatten sie an dem Tage mit in die Kirche gedurft. In der Loge saßen sie artig auf den hohen roten Damaststühlen, standen auf, sangen, setzten sich wieder - alles genau wie Großmama es tat. Sie gingen gern in die Kirche, denn wenn es auch im Schloß viele Winkel und Räume gab, die ihnen merkwürdig erschienen, so war die Kirche doch der merkwürdigste Ort. Und so angenehm gruselig war es zu denken, während man oben saß, daß tief unter der Kirche in einem gewölbten Raume, den man die Gruft nannte, die Särge der frühern Besitzer und ihrer Frauen standen. Auch Kinder mußten da beigesetzt sein, denn vom Garten aus konnte man, wenn man sich glatt in den Efeu am Boden legte, durch schmale Fenster in die Gruft hinabblicken, und da standen an dem Tage gar oft den steilen Weg zum Schloß hinauf mit Stößen von Briefen und Telegrammen. Auch Schachteln brachten sie, denen der Gärtner große Sträuße von Blumen entnahm; die kamen von Freunden Großmamas aus Städten, und sie mußten dort wohl etwas Künstliches angenommen haben, denn sie rochen anders als die Blumen im Garten. Der feierlichste Moment aber war der Kirchgang in die Schloßkapelle, denn auf welchen Tag Großmamas Geburtstag auch immer fallen mochte, es war doch jedesmal, als ob es Sonntag sei. Die Schloßkirchenglocke läutete, der alte Pastor und der alte Kantor kamen aus dem Dorf herauf, und es wurde ein richtiger Gottesdienst gehalten. Alle Jahre hatten das die Enkel erlebt, und schon als sie noch ganz klein gewesen, hatten sie an dem Tage mit in die Kirche gedurft. In der Loge saßen sie artig auf den hohen roten Damaststühlen, standen auf, sangen, setzten sich wieder – alles genau wie Großmama es tat. Sie gingen gern in die Kirche, denn wenn es auch im Schloß viele Winkel und Räume gab, die ihnen merkwürdig erschienen, so war die Kirche doch der merkwürdigste Ort. Und so angenehm gruselig war es zu denken, während man oben saß, daß tief unter der Kirche in einem gewölbten Raume, den man die Gruft nannte, die Särge der frühern Besitzer und ihrer Frauen standen. Auch Kinder mußten da beigesetzt sein, denn vom Garten aus konnte man, wenn man sich glatt in den Efeu am Boden legte, durch schmale Fenster in die Gruft hinabblicken, und da standen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="8"/> an dem Tage gar oft den steilen Weg zum Schloß hinauf mit Stößen von Briefen und Telegrammen. Auch Schachteln brachten sie, denen der Gärtner große Sträuße von Blumen entnahm; die kamen von Freunden Großmamas aus Städten, und sie mußten dort wohl etwas Künstliches angenommen haben, denn sie rochen anders als die Blumen im Garten. Der feierlichste Moment aber war der Kirchgang in die Schloßkapelle, denn auf welchen Tag Großmamas Geburtstag auch immer fallen mochte, es war doch jedesmal, als ob es Sonntag sei. Die Schloßkirchenglocke läutete, der alte Pastor und der alte Kantor kamen aus dem Dorf herauf, und es wurde ein richtiger Gottesdienst gehalten. Alle Jahre hatten das die Enkel erlebt, und schon als sie noch ganz klein gewesen, hatten sie an dem Tage mit in die Kirche gedurft. In der Loge saßen sie artig auf den hohen roten Damaststühlen, standen auf, sangen, setzten sich wieder – alles genau wie Großmama es tat.</p> <p>Sie gingen gern in die Kirche, denn wenn es auch im Schloß viele Winkel und Räume gab, die ihnen merkwürdig erschienen, so war die Kirche doch der merkwürdigste Ort. Und so angenehm gruselig war es zu denken, während man oben saß, daß tief unter der Kirche in einem gewölbten Raume, den man die Gruft nannte, die Särge der frühern Besitzer und ihrer Frauen standen. Auch Kinder mußten da beigesetzt sein, denn vom Garten aus konnte man, wenn man sich glatt in den Efeu am Boden legte, durch schmale Fenster in die Gruft hinabblicken, und da standen </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0010]
an dem Tage gar oft den steilen Weg zum Schloß hinauf mit Stößen von Briefen und Telegrammen. Auch Schachteln brachten sie, denen der Gärtner große Sträuße von Blumen entnahm; die kamen von Freunden Großmamas aus Städten, und sie mußten dort wohl etwas Künstliches angenommen haben, denn sie rochen anders als die Blumen im Garten. Der feierlichste Moment aber war der Kirchgang in die Schloßkapelle, denn auf welchen Tag Großmamas Geburtstag auch immer fallen mochte, es war doch jedesmal, als ob es Sonntag sei. Die Schloßkirchenglocke läutete, der alte Pastor und der alte Kantor kamen aus dem Dorf herauf, und es wurde ein richtiger Gottesdienst gehalten. Alle Jahre hatten das die Enkel erlebt, und schon als sie noch ganz klein gewesen, hatten sie an dem Tage mit in die Kirche gedurft. In der Loge saßen sie artig auf den hohen roten Damaststühlen, standen auf, sangen, setzten sich wieder – alles genau wie Großmama es tat.
Sie gingen gern in die Kirche, denn wenn es auch im Schloß viele Winkel und Räume gab, die ihnen merkwürdig erschienen, so war die Kirche doch der merkwürdigste Ort. Und so angenehm gruselig war es zu denken, während man oben saß, daß tief unter der Kirche in einem gewölbten Raume, den man die Gruft nannte, die Särge der frühern Besitzer und ihrer Frauen standen. Auch Kinder mußten da beigesetzt sein, denn vom Garten aus konnte man, wenn man sich glatt in den Efeu am Boden legte, durch schmale Fenster in die Gruft hinabblicken, und da standen
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