Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].entschwunden waren - und nicht mehr ein jauchzend junger Kriegsgott schien die grauen Scharen zu führen, sondern es war, als schritte ein ernster Todesengel ihnen voran. Traf Großmama solche ausrückenden Truppen, so steckte sie hastig den begleitenden Frauen von den Zigarren zu, die sie immer für solche Fälle bei sich führte, und dann faltete sie unwillkürlich die Hände. Ein Bedürfnis war es ihr, jedem, der so fortzog, etwas zu schenken, ein Bedürfnis, ihn dem Schutz höchster Macht zu empfehlen. Dabei mußte sie aber doch jedesmal dem Gedanken nachsinnen, daß, obschon für jeden einzelnen Ausziehenden sicher wenigstens einer daheim in banger Sorge betete, es ja unmöglich war, daß alle zurückkehrten. Viele dieser Gebete waren voranbestimmt, unerhört zu bleiben. Vielleicht die allerheißesten. Diese Auswahl wurde wohl nach Erwägungen getroffen, die hoch über aller Beeinflussung durch menschliches Bitten standen. Aber trotz solcher Erkenntnis war doch im selben Augenblick jedesmal der leidenschaftliche Wunsch in Großmama, daß jene beiden, die sie selbst noch draußen hatte und um die sie betete, unter den Berufenen zu den Auserwählten gehören möchten, die einst wiederkehren würden. In der kleinen Kirche, die dicht neben Großmamas Hotel, zwischen all den ragenden Neubauten, als ein Überbleibsel aus alter Zeit bescheiden stand, ließ sich auch mancher Wandel beobachten, den die Not der Zeit geschaffen. Von den altgewohnten Besuchern, die ihre festen Plätze hatten und unter denen manche Großmama entschwunden waren – und nicht mehr ein jauchzend junger Kriegsgott schien die grauen Scharen zu führen, sondern es war, als schritte ein ernster Todesengel ihnen voran. Traf Großmama solche ausrückenden Truppen, so steckte sie hastig den begleitenden Frauen von den Zigarren zu, die sie immer für solche Fälle bei sich führte, und dann faltete sie unwillkürlich die Hände. Ein Bedürfnis war es ihr, jedem, der so fortzog, etwas zu schenken, ein Bedürfnis, ihn dem Schutz höchster Macht zu empfehlen. Dabei mußte sie aber doch jedesmal dem Gedanken nachsinnen, daß, obschon für jeden einzelnen Ausziehenden sicher wenigstens einer daheim in banger Sorge betete, es ja unmöglich war, daß alle zurückkehrten. Viele dieser Gebete waren voranbestimmt, unerhört zu bleiben. Vielleicht die allerheißesten. Diese Auswahl wurde wohl nach Erwägungen getroffen, die hoch über aller Beeinflussung durch menschliches Bitten standen. Aber trotz solcher Erkenntnis war doch im selben Augenblick jedesmal der leidenschaftliche Wunsch in Großmama, daß jene beiden, die sie selbst noch draußen hatte und um die sie betete, unter den Berufenen zu den Auserwählten gehören möchten, die einst wiederkehren würden. In der kleinen Kirche, die dicht neben Großmamas Hotel, zwischen all den ragenden Neubauten, als ein Überbleibsel aus alter Zeit bescheiden stand, ließ sich auch mancher Wandel beobachten, den die Not der Zeit geschaffen. Von den altgewohnten Besuchern, die ihre festen Plätze hatten und unter denen manche Großmama <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0048" n="46"/> entschwunden waren – und nicht mehr ein jauchzend junger Kriegsgott schien die grauen Scharen zu führen, sondern es war, als schritte ein ernster Todesengel ihnen voran.</p> <p>Traf Großmama solche ausrückenden Truppen, so steckte sie hastig den begleitenden Frauen von den Zigarren zu, die sie immer für solche Fälle bei sich führte, und dann faltete sie unwillkürlich die Hände. Ein Bedürfnis war es ihr, jedem, der so fortzog, etwas zu schenken, ein Bedürfnis, ihn dem Schutz höchster Macht zu empfehlen. Dabei mußte sie aber doch jedesmal dem Gedanken nachsinnen, daß, obschon für jeden einzelnen Ausziehenden sicher wenigstens einer daheim in banger Sorge betete, es ja unmöglich war, daß alle zurückkehrten. Viele dieser Gebete waren voranbestimmt, unerhört zu bleiben. Vielleicht die allerheißesten. Diese Auswahl wurde wohl nach Erwägungen getroffen, die hoch über aller Beeinflussung durch menschliches Bitten standen. Aber trotz solcher Erkenntnis war doch im selben Augenblick jedesmal der leidenschaftliche Wunsch in Großmama, daß jene beiden, die sie selbst noch draußen hatte und um die sie betete, unter den Berufenen zu den Auserwählten gehören möchten, die einst wiederkehren würden.</p> <p>In der kleinen Kirche, die dicht neben Großmamas Hotel, zwischen all den ragenden Neubauten, als ein Überbleibsel aus alter Zeit bescheiden stand, ließ sich auch mancher Wandel beobachten, den die Not der Zeit geschaffen. Von den altgewohnten Besuchern, die ihre festen Plätze hatten und unter denen manche Großmama </p> </div> </body> </text> </TEI> [46/0048]
entschwunden waren – und nicht mehr ein jauchzend junger Kriegsgott schien die grauen Scharen zu führen, sondern es war, als schritte ein ernster Todesengel ihnen voran.
Traf Großmama solche ausrückenden Truppen, so steckte sie hastig den begleitenden Frauen von den Zigarren zu, die sie immer für solche Fälle bei sich führte, und dann faltete sie unwillkürlich die Hände. Ein Bedürfnis war es ihr, jedem, der so fortzog, etwas zu schenken, ein Bedürfnis, ihn dem Schutz höchster Macht zu empfehlen. Dabei mußte sie aber doch jedesmal dem Gedanken nachsinnen, daß, obschon für jeden einzelnen Ausziehenden sicher wenigstens einer daheim in banger Sorge betete, es ja unmöglich war, daß alle zurückkehrten. Viele dieser Gebete waren voranbestimmt, unerhört zu bleiben. Vielleicht die allerheißesten. Diese Auswahl wurde wohl nach Erwägungen getroffen, die hoch über aller Beeinflussung durch menschliches Bitten standen. Aber trotz solcher Erkenntnis war doch im selben Augenblick jedesmal der leidenschaftliche Wunsch in Großmama, daß jene beiden, die sie selbst noch draußen hatte und um die sie betete, unter den Berufenen zu den Auserwählten gehören möchten, die einst wiederkehren würden.
In der kleinen Kirche, die dicht neben Großmamas Hotel, zwischen all den ragenden Neubauten, als ein Überbleibsel aus alter Zeit bescheiden stand, ließ sich auch mancher Wandel beobachten, den die Not der Zeit geschaffen. Von den altgewohnten Besuchern, die ihre festen Plätze hatten und unter denen manche Großmama
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-01-15T09:32:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-15T09:32:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |