Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].Aus dem Land der Ostseeritter In Livland, auf ihrer Eltern Gut, Burkahnen, ward Komteßchen Dorothee, wie der Grafenkalender kündet, um 1820 geboren. In völliger Weltabgeschiedenheit wuchs sie dort auf, als einziges Kind. Das Herrenhaus in Burkahnen war ein ganz altes Gebäude, das ursprünglich keinen Anspruch auf besonderen Stil erheben konnte, aber Dorothees Großeltern hatten es im klassizistischen Geschmack jener Tage neu herrichten lassen. Die Hauptfassade war mit einem griechischen Giebel und dorischen Säulen geschmückt worden, und zu beiden Seiten der großen Haustür hatte man in die dicke Mauer Nischen eingehauen, in denen nun hohe dreifüßige Opferschalen standen. Dinge, die sich zu wundern schienen, wie sie in die nordische Umgebung hineingeraten waren. Es war ein stillverträumtes Haus, darin es überall nach Lavendel roch, und alles hatte etwas Geheimnisvolles. Wenn man plötzlich in ein Zimmer trat, knisterte es ganz leise in den alten Tapeten, als hätten die sich eben eine Geschichte erzählt und hielten nun erschrocken inne. Es gab da Stuben mit Friesen, die, in Anlehnung an Thorwaldsen, weiße Figuren auf blaßblauem Grunde wiesen, und andere, die mit alten verblichenen Kattunen bespannt waren. Zierlich steife Empiremöbel standen an den Wänden, gerade und Aus dem Land der Ostseeritter In Livland, auf ihrer Eltern Gut, Burkahnen, ward Komteßchen Dorothee, wie der Grafenkalender kündet, um 1820 geboren. In völliger Weltabgeschiedenheit wuchs sie dort auf, als einziges Kind. Das Herrenhaus in Burkahnen war ein ganz altes Gebäude, das ursprünglich keinen Anspruch auf besonderen Stil erheben konnte, aber Dorothees Großeltern hatten es im klassizistischen Geschmack jener Tage neu herrichten lassen. Die Hauptfassade war mit einem griechischen Giebel und dorischen Säulen geschmückt worden, und zu beiden Seiten der großen Haustür hatte man in die dicke Mauer Nischen eingehauen, in denen nun hohe dreifüßige Opferschalen standen. Dinge, die sich zu wundern schienen, wie sie in die nordische Umgebung hineingeraten waren. Es war ein stillverträumtes Haus, darin es überall nach Lavendel roch, und alles hatte etwas Geheimnisvolles. Wenn man plötzlich in ein Zimmer trat, knisterte es ganz leise in den alten Tapeten, als hätten die sich eben eine Geschichte erzählt und hielten nun erschrocken inne. Es gab da Stuben mit Friesen, die, in Anlehnung an Thorwaldsen, weiße Figuren auf blaßblauem Grunde wiesen, und andere, die mit alten verblichenen Kattunen bespannt waren. Zierlich steife Empiremöbel standen an den Wänden, gerade und <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0075" n="73"/> <div n="1"> <head>Aus dem Land der Ostseeritter</head><lb/> <p>In Livland, auf ihrer Eltern Gut, Burkahnen, ward Komteßchen Dorothee, wie der Grafenkalender kündet, um 1820 geboren. In völliger Weltabgeschiedenheit wuchs sie dort auf, als einziges Kind.</p> <p>Das Herrenhaus in Burkahnen war ein ganz altes Gebäude, das ursprünglich keinen Anspruch auf besonderen Stil erheben konnte, aber Dorothees Großeltern hatten es im klassizistischen Geschmack jener Tage neu herrichten lassen. Die Hauptfassade war mit einem griechischen Giebel und dorischen Säulen geschmückt worden, und zu beiden Seiten der großen Haustür hatte man in die dicke Mauer Nischen eingehauen, in denen nun hohe dreifüßige Opferschalen standen. Dinge, die sich zu wundern schienen, wie sie in die nordische Umgebung hineingeraten waren.</p> <p>Es war ein stillverträumtes Haus, darin es überall nach Lavendel roch, und alles hatte etwas Geheimnisvolles. Wenn man plötzlich in ein Zimmer trat, knisterte es ganz leise in den alten Tapeten, als hätten die sich eben eine Geschichte erzählt und hielten nun erschrocken inne. Es gab da Stuben mit Friesen, die, in Anlehnung an Thorwaldsen, weiße Figuren auf blaßblauem Grunde wiesen, und andere, die mit alten verblichenen Kattunen bespannt waren. Zierlich steife Empiremöbel standen an den Wänden, gerade und </p> </div> </body> </text> </TEI> [73/0075]
Aus dem Land der Ostseeritter
In Livland, auf ihrer Eltern Gut, Burkahnen, ward Komteßchen Dorothee, wie der Grafenkalender kündet, um 1820 geboren. In völliger Weltabgeschiedenheit wuchs sie dort auf, als einziges Kind.
Das Herrenhaus in Burkahnen war ein ganz altes Gebäude, das ursprünglich keinen Anspruch auf besonderen Stil erheben konnte, aber Dorothees Großeltern hatten es im klassizistischen Geschmack jener Tage neu herrichten lassen. Die Hauptfassade war mit einem griechischen Giebel und dorischen Säulen geschmückt worden, und zu beiden Seiten der großen Haustür hatte man in die dicke Mauer Nischen eingehauen, in denen nun hohe dreifüßige Opferschalen standen. Dinge, die sich zu wundern schienen, wie sie in die nordische Umgebung hineingeraten waren.
Es war ein stillverträumtes Haus, darin es überall nach Lavendel roch, und alles hatte etwas Geheimnisvolles. Wenn man plötzlich in ein Zimmer trat, knisterte es ganz leise in den alten Tapeten, als hätten die sich eben eine Geschichte erzählt und hielten nun erschrocken inne. Es gab da Stuben mit Friesen, die, in Anlehnung an Thorwaldsen, weiße Figuren auf blaßblauem Grunde wiesen, und andere, die mit alten verblichenen Kattunen bespannt waren. Zierlich steife Empiremöbel standen an den Wänden, gerade und
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