Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].Und dann, als Dorothee achtzehn Jahre alt geworden, erschien in Burkahnen eine Tante, die sich nicht oft dort blicken ließ. Sophie hieß sie, nannte sich aber gern Sonja, denn sie hatte sich in ihrer Jugend nach Petersburg verheiratet und das Russische dünkte sie vornehmer. Ihr Spitzname in der Familie war darum "die verrußte Tante". Tante Sonjas verstorbener Mann hatte unter Kaiser Alexander verschiedene diplomatische Stellungen bekleidet, und sie war viel mit ihm in der Welt herumgekommen. Den Höhepunkt ihres Lebens aber, auf den sie in der Konversation immer zurückkehrte, bildete der Wiener Kongreß, bei dem sie als junge Frau gewesen. Etwas elegant Internationales war von alledem an ihr haften geblieben. Ihre Kleider hatten einen anderen Schnitt als die von den Jungfern der Damen des Landadels "schneiderierten", und sie pflegte diese wie seltsame Ausgrabungen durch die Lorgnette zu mustern. Ganz beiläufig schilderte sie dann jene Toiletten, die die schöne Fürstin Bagration, die Gräfinnen Zichy und die Herzogin von Acerenza einst getragen hatten, oder sie erzählte, welche neuesten Moden die berühmte Schneiderin Madame Minette jetzt in Paris geschaffen habe. Wenn am langen Eßtisch in Burkahnen Palten und Knappkäse, Keilchen mit Schwarzbeeren und Kalkuhne mit Barawicken von den schwerfälligen lettischen Dienern in großen Schüsseln aufgetragen wurden, erwähnte sie, wie zufällig, die supremes, pates und pieces montees, die bei den Wiener Festen von Lakaien in habits a la francaise serviert worden waren, Und dann, als Dorothee achtzehn Jahre alt geworden, erschien in Burkahnen eine Tante, die sich nicht oft dort blicken ließ. Sophie hieß sie, nannte sich aber gern Sonja, denn sie hatte sich in ihrer Jugend nach Petersburg verheiratet und das Russische dünkte sie vornehmer. Ihr Spitzname in der Familie war darum „die verrußte Tante“. Tante Sonjas verstorbener Mann hatte unter Kaiser Alexander verschiedene diplomatische Stellungen bekleidet, und sie war viel mit ihm in der Welt herumgekommen. Den Höhepunkt ihres Lebens aber, auf den sie in der Konversation immer zurückkehrte, bildete der Wiener Kongreß, bei dem sie als junge Frau gewesen. Etwas elegant Internationales war von alledem an ihr haften geblieben. Ihre Kleider hatten einen anderen Schnitt als die von den Jungfern der Damen des Landadels „schneiderierten“, und sie pflegte diese wie seltsame Ausgrabungen durch die Lorgnette zu mustern. Ganz beiläufig schilderte sie dann jene Toiletten, die die schöne Fürstin Bagration, die Gräfinnen Zichy und die Herzogin von Acerenza einst getragen hatten, oder sie erzählte, welche neuesten Moden die berühmte Schneiderin Madame Minette jetzt in Paris geschaffen habe. Wenn am langen Eßtisch in Burkahnen Palten und Knappkäse, Keilchen mit Schwarzbeeren und Kalkuhne mit Barawicken von den schwerfälligen lettischen Dienern in großen Schüsseln aufgetragen wurden, erwähnte sie, wie zufällig, die suprêmes, pâtés und pièces montées, die bei den Wiener Festen von Lakaien in habits à la française serviert worden waren, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0084" n="82"/> <p>Und dann, als Dorothee achtzehn Jahre alt geworden, erschien in Burkahnen eine Tante, die sich nicht oft dort blicken ließ. Sophie hieß sie, nannte sich aber gern Sonja, denn sie hatte sich in ihrer Jugend nach Petersburg verheiratet und das Russische dünkte sie vornehmer. Ihr Spitzname in der Familie war darum „die verrußte Tante“. Tante Sonjas verstorbener Mann hatte unter Kaiser Alexander verschiedene diplomatische Stellungen bekleidet, und sie war viel mit ihm in der Welt herumgekommen. Den Höhepunkt ihres Lebens aber, auf den sie in der Konversation immer zurückkehrte, bildete der Wiener Kongreß, bei dem sie als junge Frau gewesen. Etwas elegant Internationales war von alledem an ihr haften geblieben. Ihre Kleider hatten einen anderen Schnitt als die von den Jungfern der Damen des Landadels „schneiderierten“, und sie pflegte diese wie seltsame Ausgrabungen durch die Lorgnette zu mustern. Ganz beiläufig schilderte sie dann jene Toiletten, die die schöne Fürstin Bagration, die Gräfinnen Zichy und die Herzogin von Acerenza einst getragen hatten, oder sie erzählte, welche neuesten Moden die berühmte Schneiderin Madame Minette jetzt in Paris geschaffen habe. Wenn am langen Eßtisch in Burkahnen Palten und Knappkäse, Keilchen mit Schwarzbeeren und Kalkuhne mit Barawicken von den schwerfälligen lettischen Dienern in großen Schüsseln aufgetragen wurden, erwähnte sie, wie zufällig, die <hi rendition="#aq">suprêmes</hi>, <hi rendition="#aq">pâtés</hi> und <hi rendition="#aq">pièces montées</hi>, die bei den Wiener Festen von Lakaien in <hi rendition="#aq">habits à la française</hi> serviert worden waren, </p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0084]
Und dann, als Dorothee achtzehn Jahre alt geworden, erschien in Burkahnen eine Tante, die sich nicht oft dort blicken ließ. Sophie hieß sie, nannte sich aber gern Sonja, denn sie hatte sich in ihrer Jugend nach Petersburg verheiratet und das Russische dünkte sie vornehmer. Ihr Spitzname in der Familie war darum „die verrußte Tante“. Tante Sonjas verstorbener Mann hatte unter Kaiser Alexander verschiedene diplomatische Stellungen bekleidet, und sie war viel mit ihm in der Welt herumgekommen. Den Höhepunkt ihres Lebens aber, auf den sie in der Konversation immer zurückkehrte, bildete der Wiener Kongreß, bei dem sie als junge Frau gewesen. Etwas elegant Internationales war von alledem an ihr haften geblieben. Ihre Kleider hatten einen anderen Schnitt als die von den Jungfern der Damen des Landadels „schneiderierten“, und sie pflegte diese wie seltsame Ausgrabungen durch die Lorgnette zu mustern. Ganz beiläufig schilderte sie dann jene Toiletten, die die schöne Fürstin Bagration, die Gräfinnen Zichy und die Herzogin von Acerenza einst getragen hatten, oder sie erzählte, welche neuesten Moden die berühmte Schneiderin Madame Minette jetzt in Paris geschaffen habe. Wenn am langen Eßtisch in Burkahnen Palten und Knappkäse, Keilchen mit Schwarzbeeren und Kalkuhne mit Barawicken von den schwerfälligen lettischen Dienern in großen Schüsseln aufgetragen wurden, erwähnte sie, wie zufällig, die suprêmes, pâtés und pièces montées, die bei den Wiener Festen von Lakaien in habits à la française serviert worden waren,
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