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Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9).

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chauvinistisch sich erweisenden Frau geführt wurden. Alle diese
Momente wirkten verhängnisvoll, sie sind aber von keiner allzu
großen Bedeutung für das große Ganze, sie zerrinnen sogar zu einer
ziemlichen Bedeutungslosigkeit, wenn man sie objektiv betrachtet
und auf ihre Ursachen zurückführt; wenn wir ferner bedenken, daß
die organisierte bürgerliche Frauenbewegung höchstens 1/4 der ge-
samten organisierten deutschen Frauen ausmacht, so ist deren Ver-
halten absolut unmaßgeblich gegenüber den 75 Prozent gewerk-
schaftlich und sozialdemokratisch organisierter Frauen, aus deren
Reihen nicht ein einziger Abfall von der pazifistischen Gesinnung
bekannt geworden ist; wohl aber sind viele der letzteren wegen
ihrer pazifistischen Gesinnung und deren Aeußerungen von den
Behörden scharf verfolgt worden.

Nein, die Masse der Frauen wird nie für Kriege eintreten!
Wer das zu behaupten vermag, der hat keinen Begriff von der weib-
lichen Natur, der hat nicht in den Empfindungen jener Millionen
abgearbeiteter, verzweifelter Frauen gelesen, die sich in den ersten
Tagen des Augustes 1914 auf die Rathäuser der deutschen Städte
begaben, um ihre Einschreibung für die Kriegsunterstützung zu be-
wirken. Wer die gesehen hat, wer ihre geängstigten Mienen zu
erforschen verstand, wer mit ihnen gesprochen hat, der weiß, wie es
im Jnnern der deutschen Frauen aussah, als der Krieg proklamiert
wurde. Von Kriegsbegeisterung war selbst bei den vielen nichts
zu spüren, die durch die Einberufung des Mannes von der Last
persönlicher Tyrannei und Mißhandlung befreit wurden, die nun
ohne Streit und Not im Hause über die durch ihrer Hände Arbeit
erworbenen Mittel verfügen konnten. Es war vielmehr, als ob
die Seele aller dieser Frauen vorausschauend das unermeßliche
Elend mit seiner ganzen brutalen Gewalt durchzitterte, welches
die kommende Kriegszeit der Menschheit bringen sollte. So emp-
fand die Masse der arbeitenden Frauen, so empfanden unzählige
Frauen aller Kreise.

Ein Beweis für die in ihrem starken Friedensgefühl wurzelnde
Solidarität der Frauen ist die Tatsache, daß während der Kriegs-

chauvinistisch sich erweisenden Frau geführt wurden. Alle diese
Momente wirkten verhängnisvoll, sie sind aber von keiner allzu
großen Bedeutung für das große Ganze, sie zerrinnen sogar zu einer
ziemlichen Bedeutungslosigkeit, wenn man sie objektiv betrachtet
und auf ihre Ursachen zurückführt; wenn wir ferner bedenken, daß
die organisierte bürgerliche Frauenbewegung höchstens ¼ der ge-
samten organisierten deutschen Frauen ausmacht, so ist deren Ver-
halten absolut unmaßgeblich gegenüber den 75 Prozent gewerk-
schaftlich und sozialdemokratisch organisierter Frauen, aus deren
Reihen nicht ein einziger Abfall von der pazifistischen Gesinnung
bekannt geworden ist; wohl aber sind viele der letzteren wegen
ihrer pazifistischen Gesinnung und deren Aeußerungen von den
Behörden scharf verfolgt worden.

Nein, die Masse der Frauen wird nie für Kriege eintreten!
Wer das zu behaupten vermag, der hat keinen Begriff von der weib-
lichen Natur, der hat nicht in den Empfindungen jener Millionen
abgearbeiteter, verzweifelter Frauen gelesen, die sich in den ersten
Tagen des Augustes 1914 auf die Rathäuser der deutschen Städte
begaben, um ihre Einschreibung für die Kriegsunterstützung zu be-
wirken. Wer die gesehen hat, wer ihre geängstigten Mienen zu
erforschen verstand, wer mit ihnen gesprochen hat, der weiß, wie es
im Jnnern der deutschen Frauen aussah, als der Krieg proklamiert
wurde. Von Kriegsbegeisterung war selbst bei den vielen nichts
zu spüren, die durch die Einberufung des Mannes von der Last
persönlicher Tyrannei und Mißhandlung befreit wurden, die nun
ohne Streit und Not im Hause über die durch ihrer Hände Arbeit
erworbenen Mittel verfügen konnten. Es war vielmehr, als ob
die Seele aller dieser Frauen vorausschauend das unermeßliche
Elend mit seiner ganzen brutalen Gewalt durchzitterte, welches
die kommende Kriegszeit der Menschheit bringen sollte. So emp-
fand die Masse der arbeitenden Frauen, so empfanden unzählige
Frauen aller Kreise.

Ein Beweis für die in ihrem starken Friedensgefühl wurzelnde
Solidarität der Frauen ist die Tatsache, daß während der Kriegs-

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[14/0013] chauvinistisch sich erweisenden Frau geführt wurden. Alle diese Momente wirkten verhängnisvoll, sie sind aber von keiner allzu großen Bedeutung für das große Ganze, sie zerrinnen sogar zu einer ziemlichen Bedeutungslosigkeit, wenn man sie objektiv betrachtet und auf ihre Ursachen zurückführt; wenn wir ferner bedenken, daß die organisierte bürgerliche Frauenbewegung höchstens ¼ der ge- samten organisierten deutschen Frauen ausmacht, so ist deren Ver- halten absolut unmaßgeblich gegenüber den 75 Prozent gewerk- schaftlich und sozialdemokratisch organisierter Frauen, aus deren Reihen nicht ein einziger Abfall von der pazifistischen Gesinnung bekannt geworden ist; wohl aber sind viele der letzteren wegen ihrer pazifistischen Gesinnung und deren Aeußerungen von den Behörden scharf verfolgt worden. Nein, die Masse der Frauen wird nie für Kriege eintreten! Wer das zu behaupten vermag, der hat keinen Begriff von der weib- lichen Natur, der hat nicht in den Empfindungen jener Millionen abgearbeiteter, verzweifelter Frauen gelesen, die sich in den ersten Tagen des Augustes 1914 auf die Rathäuser der deutschen Städte begaben, um ihre Einschreibung für die Kriegsunterstützung zu be- wirken. Wer die gesehen hat, wer ihre geängstigten Mienen zu erforschen verstand, wer mit ihnen gesprochen hat, der weiß, wie es im Jnnern der deutschen Frauen aussah, als der Krieg proklamiert wurde. Von Kriegsbegeisterung war selbst bei den vielen nichts zu spüren, die durch die Einberufung des Mannes von der Last persönlicher Tyrannei und Mißhandlung befreit wurden, die nun ohne Streit und Not im Hause über die durch ihrer Hände Arbeit erworbenen Mittel verfügen konnten. Es war vielmehr, als ob die Seele aller dieser Frauen vorausschauend das unermeßliche Elend mit seiner ganzen brutalen Gewalt durchzitterte, welches die kommende Kriegszeit der Menschheit bringen sollte. So emp- fand die Masse der arbeitenden Frauen, so empfanden unzählige Frauen aller Kreise. Ein Beweis für die in ihrem starken Friedensgefühl wurzelnde Solidarität der Frauen ist die Tatsache, daß während der Kriegs-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T08:47:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T08:47:15Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9), S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heymann_voelkerverstaendigung_1919/13>, abgerufen am 24.11.2024.