Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

schüttelte er sich, stürzte nach den Rudern, und fuhr
ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach,
während der Boden seines Kahns von dem immer
zuströmenden Blute roth wurde.

Im Nu war er an ihrer Seite, so hastig sie
schwamm. Bei Maria Santissima! rief er, komm
in den Kahn. Ich bin ein Toller gewesen; Gott
weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein
Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz
aufbrannte und wußte nicht was ich that und redete.
Du sollst mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Le¬
ben retten und wieder einsteigen.

Sie schwamm fort, als habe sie nichts gehört.

Du kannst nicht bis ans Land kommen, es sind
noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn
dir ein Unglück begegnete, sie stürbe vor Entsetzen.

Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der
Küste. Dann, ohne zu antworten, schwamm sie an
die Barke heran und faßte den Bord mit den Hän¬
den. Er stand auf, ihr zu helfen; seine Jacke, die
auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen
von der Last des Mädchens nach der einen Seite
hinübergezogen wurde. Gewandt schwang sie sich em¬
por und erklomm ihren früheren Sitz. Als er sie
geborgen sah, griff er wieder zu den Rudern. Sie
aber wand ihr triefendes Röckchen aus und rang
das Wasser aus den Flechten. Dabei sah sie auf

ſchüttelte er ſich, ſtürzte nach den Rudern, und fuhr
ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach,
während der Boden ſeines Kahns von dem immer
zuſtrömenden Blute roth wurde.

Im Nu war er an ihrer Seite, ſo haſtig ſie
ſchwamm. Bei Maria Santiſſima! rief er, komm
in den Kahn. Ich bin ein Toller geweſen; Gott
weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein
Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz
aufbrannte und wußte nicht was ich that und redete.
Du ſollſt mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Le¬
ben retten und wieder einſteigen.

Sie ſchwamm fort, als habe ſie nichts gehört.

Du kannſt nicht bis ans Land kommen, es ſind
noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn
dir ein Unglück begegnete, ſie ſtürbe vor Entſetzen.

Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der
Küſte. Dann, ohne zu antworten, ſchwamm ſie an
die Barke heran und faßte den Bord mit den Hän¬
den. Er ſtand auf, ihr zu helfen; ſeine Jacke, die
auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen
von der Laſt des Mädchens nach der einen Seite
hinübergezogen wurde. Gewandt ſchwang ſie ſich em¬
por und erklomm ihren früheren Sitz. Als er ſie
geborgen ſah, griff er wieder zu den Rudern. Sie
aber wand ihr triefendes Röckchen aus und rang
das Waſſer aus den Flechten. Dabei ſah ſie auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="114"/>
&#x017F;chüttelte er &#x017F;ich, &#x017F;türzte nach den Rudern, und fuhr<lb/>
ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach,<lb/>
während der Boden &#x017F;eines Kahns von dem immer<lb/>
zu&#x017F;trömenden Blute roth wurde.</p><lb/>
        <p>Im Nu war er an ihrer Seite, &#x017F;o ha&#x017F;tig &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chwamm. Bei Maria Santi&#x017F;&#x017F;ima! rief er, komm<lb/>
in den Kahn. Ich bin ein Toller gewe&#x017F;en; Gott<lb/>
weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein<lb/>
Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz<lb/>
aufbrannte und wußte nicht was ich that und redete.<lb/>
Du &#x017F;oll&#x017F;t mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Le¬<lb/>
ben retten und wieder ein&#x017F;teigen.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chwamm fort, als habe &#x017F;ie nichts gehört.</p><lb/>
        <p>Du kann&#x017F;t nicht bis ans Land kommen, es &#x017F;ind<lb/>
noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn<lb/>
dir ein Unglück begegnete, &#x017F;ie &#x017F;türbe vor Ent&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der<lb/>&#x017F;te. Dann, ohne zu antworten, &#x017F;chwamm &#x017F;ie an<lb/>
die Barke heran und faßte den Bord mit den Hän¬<lb/>
den. Er &#x017F;tand auf, ihr zu helfen; &#x017F;eine Jacke, die<lb/>
auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen<lb/>
von der La&#x017F;t des Mädchens nach der einen Seite<lb/>
hinübergezogen wurde. Gewandt &#x017F;chwang &#x017F;ie &#x017F;ich em¬<lb/>
por und erklomm ihren früheren Sitz. Als er &#x017F;ie<lb/>
geborgen &#x017F;ah, griff er wieder zu den Rudern. Sie<lb/>
aber wand ihr triefendes Röckchen aus und rang<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er aus den Flechten. Dabei &#x017F;ah &#x017F;ie auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0126] ſchüttelte er ſich, ſtürzte nach den Rudern, und fuhr ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach, während der Boden ſeines Kahns von dem immer zuſtrömenden Blute roth wurde. Im Nu war er an ihrer Seite, ſo haſtig ſie ſchwamm. Bei Maria Santiſſima! rief er, komm in den Kahn. Ich bin ein Toller geweſen; Gott weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz aufbrannte und wußte nicht was ich that und redete. Du ſollſt mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Le¬ ben retten und wieder einſteigen. Sie ſchwamm fort, als habe ſie nichts gehört. Du kannſt nicht bis ans Land kommen, es ſind noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn dir ein Unglück begegnete, ſie ſtürbe vor Entſetzen. Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der Küſte. Dann, ohne zu antworten, ſchwamm ſie an die Barke heran und faßte den Bord mit den Hän¬ den. Er ſtand auf, ihr zu helfen; ſeine Jacke, die auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen von der Laſt des Mädchens nach der einen Seite hinübergezogen wurde. Gewandt ſchwang ſie ſich em¬ por und erklomm ihren früheren Sitz. Als er ſie geborgen ſah, griff er wieder zu den Rudern. Sie aber wand ihr triefendes Röckchen aus und rang das Waſſer aus den Flechten. Dabei ſah ſie auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/126
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/126>, abgerufen am 22.12.2024.