Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich habe sie verloren, sagte er still. Sie starben
Beide in derselben Woche. Da ging ich über die
Alpen, und Gott weiß, ob ich je zurückkehre.

Sie betraten die leichten Schatten der Oliven¬
pflanzung. Der Weg war durchaus trocken; über
ihnen in den Zweigen glänzte es von Sonne, die
den flüchtigen Schnee auf den Blättern aufgethaut
hatte, daß sie schimmerten wie nach feinem Frühlings¬
regen. Die kleine Ehrendame wurde der besten Laune
und erzählte von ihren einsamen Wanderungen durch
Rom. Man wollte wissen, daß sie an einem Buch
über Rom arbeite. Wie es auch immer damit sein
mochte, es stand fest, daß sie sogar ihren Grundsätzen
Gewalt anthat und es sich nachsagen ließ, daß sie
mit einem wildfremden jungen Italiäner eine Stunde
lang die Thermen des Caracalla nach allen Seiten
durchforscht und seine Begleitung nach ihrer Woh¬
nung nicht abgelehnt habe.

Glaubt Ihr wohl, Mary, rief sie jetzt, daß ich
mich leicht entschließen könnte, mein altes England
mit keinem Auge wiederzusehn? Ihr wißt, wie ich
es Anfangs keinen Monat hier auszuhalten meinte.
Denn ich bin von alter Familie, Sir, und mein er¬
ster Ahn fiel bei Hastings, nachdem er für sein Theil
und für seine Kinder das Land mit erobert hatte.
Darum gehört mir mein Stück England so gut wie
dem größten Grundbesitzer, und wer läßt gern das

Ich habe ſie verloren, ſagte er ſtill. Sie ſtarben
Beide in derſelben Woche. Da ging ich über die
Alpen, und Gott weiß, ob ich je zurückkehre.

Sie betraten die leichten Schatten der Oliven¬
pflanzung. Der Weg war durchaus trocken; über
ihnen in den Zweigen glänzte es von Sonne, die
den flüchtigen Schnee auf den Blättern aufgethaut
hatte, daß ſie ſchimmerten wie nach feinem Frühlings¬
regen. Die kleine Ehrendame wurde der beſten Laune
und erzählte von ihren einſamen Wanderungen durch
Rom. Man wollte wiſſen, daß ſie an einem Buch
über Rom arbeite. Wie es auch immer damit ſein
mochte, es ſtand feſt, daß ſie ſogar ihren Grundſätzen
Gewalt anthat und es ſich nachſagen ließ, daß ſie
mit einem wildfremden jungen Italiäner eine Stunde
lang die Thermen des Caracalla nach allen Seiten
durchforſcht und ſeine Begleitung nach ihrer Woh¬
nung nicht abgelehnt habe.

Glaubt Ihr wohl, Mary, rief ſie jetzt, daß ich
mich leicht entſchließen könnte, mein altes England
mit keinem Auge wiederzuſehn? Ihr wißt, wie ich
es Anfangs keinen Monat hier auszuhalten meinte.
Denn ich bin von alter Familie, Sir, und mein er¬
ſter Ahn fiel bei Haſtings, nachdem er für ſein Theil
und für ſeine Kinder das Land mit erobert hatte.
Darum gehört mir mein Stück England ſo gut wie
dem größten Grundbeſitzer, und wer läßt gern das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0153" n="141"/>
        <p>Ich habe &#x017F;ie verloren, &#x017F;agte er &#x017F;till. Sie &#x017F;tarben<lb/>
Beide in der&#x017F;elben Woche. Da ging ich über die<lb/>
Alpen, und Gott weiß, ob ich je zurückkehre.</p><lb/>
        <p>Sie betraten die leichten Schatten der Oliven¬<lb/>
pflanzung. Der Weg war durchaus trocken; über<lb/>
ihnen in den Zweigen glänzte es von Sonne, die<lb/>
den flüchtigen Schnee auf den Blättern aufgethaut<lb/>
hatte, daß &#x017F;ie &#x017F;chimmerten wie nach feinem Frühlings¬<lb/>
regen. Die kleine Ehrendame wurde der be&#x017F;ten Laune<lb/>
und erzählte von ihren ein&#x017F;amen Wanderungen durch<lb/>
Rom. Man wollte wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie an einem Buch<lb/>
über Rom arbeite. Wie es auch immer damit &#x017F;ein<lb/>
mochte, es &#x017F;tand fe&#x017F;t, daß &#x017F;ie &#x017F;ogar ihren Grund&#x017F;ätzen<lb/>
Gewalt anthat und es &#x017F;ich nach&#x017F;agen ließ, daß &#x017F;ie<lb/>
mit einem wildfremden jungen Italiäner eine Stunde<lb/>
lang die Thermen des Caracalla nach allen Seiten<lb/>
durchfor&#x017F;cht und &#x017F;eine Begleitung nach ihrer Woh¬<lb/>
nung nicht abgelehnt habe.</p><lb/>
        <p>Glaubt Ihr wohl, Mary, rief &#x017F;ie jetzt, daß ich<lb/>
mich leicht ent&#x017F;chließen könnte, mein altes England<lb/>
mit keinem Auge wiederzu&#x017F;ehn? Ihr wißt, wie ich<lb/>
es Anfangs keinen Monat hier auszuhalten meinte.<lb/>
Denn ich bin von alter Familie, Sir, und mein er¬<lb/>
&#x017F;ter Ahn fiel bei Ha&#x017F;tings, nachdem er für &#x017F;ein Theil<lb/>
und für &#x017F;eine Kinder das Land mit erobert hatte.<lb/>
Darum gehört mir mein Stück England &#x017F;o gut wie<lb/>
dem größten Grundbe&#x017F;itzer, und wer läßt gern das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0153] Ich habe ſie verloren, ſagte er ſtill. Sie ſtarben Beide in derſelben Woche. Da ging ich über die Alpen, und Gott weiß, ob ich je zurückkehre. Sie betraten die leichten Schatten der Oliven¬ pflanzung. Der Weg war durchaus trocken; über ihnen in den Zweigen glänzte es von Sonne, die den flüchtigen Schnee auf den Blättern aufgethaut hatte, daß ſie ſchimmerten wie nach feinem Frühlings¬ regen. Die kleine Ehrendame wurde der beſten Laune und erzählte von ihren einſamen Wanderungen durch Rom. Man wollte wiſſen, daß ſie an einem Buch über Rom arbeite. Wie es auch immer damit ſein mochte, es ſtand feſt, daß ſie ſogar ihren Grundſätzen Gewalt anthat und es ſich nachſagen ließ, daß ſie mit einem wildfremden jungen Italiäner eine Stunde lang die Thermen des Caracalla nach allen Seiten durchforſcht und ſeine Begleitung nach ihrer Woh¬ nung nicht abgelehnt habe. Glaubt Ihr wohl, Mary, rief ſie jetzt, daß ich mich leicht entſchließen könnte, mein altes England mit keinem Auge wiederzuſehn? Ihr wißt, wie ich es Anfangs keinen Monat hier auszuhalten meinte. Denn ich bin von alter Familie, Sir, und mein er¬ ſter Ahn fiel bei Haſtings, nachdem er für ſein Theil und für ſeine Kinder das Land mit erobert hatte. Darum gehört mir mein Stück England ſo gut wie dem größten Grundbeſitzer, und wer läßt gern das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/153
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/153>, abgerufen am 22.12.2024.