Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sie auch sonst ein wenig förmlich war, konnte sie auch
jetzt das freudige neue Schicksal nicht ohne einige
würdige Segensworte entgegennehmen, die, so herz¬
lich sie gemeint waren, in Theodors Stimmung fremd
hineinklangen. Der Vater sagte nichts; er drückte
seinem Eidam immer wieder die Hand und küßte
die Stirn seiner Tochter.

Theodor erzählte nun die Ereignisse des letzten
Abends. Marie lehnte an seiner Brust und schlang,
als er von dem Kampf erzählte, den Arm ängstlich
um ihren Geliebten, wie um sich zu versichern, daß
Alles vorbei sei und sie ihn ja sicher besitze. Die
Mutter gab ihr einen Wink, der dem jungen Manne
nicht entging. Da entzog sie ihm den Arm und saß
nun neben ihm, ohne ihn zu berühren. Er empfand
es peinlich; er fühlte auch, als er nach einigen Stun¬
den gehen mußte und sie an der Schwelle der Thür
noch einmal von Herzen küßte, daß sie es scheu er¬
wiederte und ihm zuerst ihre Lippen entzog. Er ging
mit einem wunderlichen Gefühl, einen Druck auf
dem Herzen, eine widerwillig gedämpfte Glut in
allen Pulsen. Draußen stand er unter der Pforte
still. Die Straße war menschenleer; er kühlte sich
die Stirn an dem steinernen Pfosten, streckte die
Arme aus, als wolle er ein Stück des Himmels
herabziehn und an seine Brust pressen, und ging dann
etwas ruhiger den Weg zum Tritonen.

ſie auch ſonſt ein wenig förmlich war, konnte ſie auch
jetzt das freudige neue Schickſal nicht ohne einige
würdige Segensworte entgegennehmen, die, ſo herz¬
lich ſie gemeint waren, in Theodors Stimmung fremd
hineinklangen. Der Vater ſagte nichts; er drückte
ſeinem Eidam immer wieder die Hand und küßte
die Stirn ſeiner Tochter.

Theodor erzählte nun die Ereigniſſe des letzten
Abends. Marie lehnte an ſeiner Bruſt und ſchlang,
als er von dem Kampf erzählte, den Arm ängſtlich
um ihren Geliebten, wie um ſich zu verſichern, daß
Alles vorbei ſei und ſie ihn ja ſicher beſitze. Die
Mutter gab ihr einen Wink, der dem jungen Manne
nicht entging. Da entzog ſie ihm den Arm und ſaß
nun neben ihm, ohne ihn zu berühren. Er empfand
es peinlich; er fühlte auch, als er nach einigen Stun¬
den gehen mußte und ſie an der Schwelle der Thür
noch einmal von Herzen küßte, daß ſie es ſcheu er¬
wiederte und ihm zuerſt ihre Lippen entzog. Er ging
mit einem wunderlichen Gefühl, einen Druck auf
dem Herzen, eine widerwillig gedämpfte Glut in
allen Pulſen. Draußen ſtand er unter der Pforte
ſtill. Die Straße war menſchenleer; er kühlte ſich
die Stirn an dem ſteinernen Pfoſten, ſtreckte die
Arme aus, als wolle er ein Stück des Himmels
herabziehn und an ſeine Bruſt preſſen, und ging dann
etwas ruhiger den Weg zum Tritonen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="154"/>
&#x017F;ie auch &#x017F;on&#x017F;t ein wenig förmlich war, konnte &#x017F;ie auch<lb/>
jetzt das freudige neue Schick&#x017F;al nicht ohne einige<lb/>
würdige Segensworte entgegennehmen, die, &#x017F;o herz¬<lb/>
lich &#x017F;ie gemeint waren, in Theodors Stimmung fremd<lb/>
hineinklangen. Der Vater &#x017F;agte nichts; er drückte<lb/>
&#x017F;einem Eidam immer wieder die Hand und küßte<lb/>
die Stirn &#x017F;einer Tochter.</p><lb/>
        <p>Theodor erzählte nun die Ereigni&#x017F;&#x017F;e des letzten<lb/>
Abends. Marie lehnte an &#x017F;einer Bru&#x017F;t und &#x017F;chlang,<lb/>
als er von dem Kampf erzählte, den Arm äng&#x017F;tlich<lb/>
um ihren Geliebten, wie um &#x017F;ich zu ver&#x017F;ichern, daß<lb/>
Alles vorbei &#x017F;ei und &#x017F;ie ihn ja &#x017F;icher be&#x017F;itze. Die<lb/>
Mutter gab ihr einen Wink, der dem jungen Manne<lb/>
nicht entging. Da entzog &#x017F;ie ihm den Arm und &#x017F;<lb/>
nun neben ihm, ohne ihn zu berühren. Er empfand<lb/>
es peinlich; er fühlte auch, als er nach einigen Stun¬<lb/>
den gehen mußte und &#x017F;ie an der Schwelle der Thür<lb/>
noch einmal von Herzen küßte, daß &#x017F;ie es &#x017F;cheu er¬<lb/>
wiederte und ihm zuer&#x017F;t ihre Lippen entzog. Er ging<lb/>
mit einem wunderlichen Gefühl, einen Druck auf<lb/>
dem Herzen, eine widerwillig gedämpfte Glut in<lb/>
allen Pul&#x017F;en. Draußen &#x017F;tand er unter der Pforte<lb/>
&#x017F;till. Die Straße war men&#x017F;chenleer; er kühlte &#x017F;ich<lb/>
die Stirn an dem &#x017F;teinernen Pfo&#x017F;ten, &#x017F;treckte die<lb/>
Arme aus, als wolle er ein Stück des Himmels<lb/>
herabziehn und an &#x017F;eine Bru&#x017F;t pre&#x017F;&#x017F;en, und ging dann<lb/>
etwas ruhiger den Weg zum Tritonen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0166] ſie auch ſonſt ein wenig förmlich war, konnte ſie auch jetzt das freudige neue Schickſal nicht ohne einige würdige Segensworte entgegennehmen, die, ſo herz¬ lich ſie gemeint waren, in Theodors Stimmung fremd hineinklangen. Der Vater ſagte nichts; er drückte ſeinem Eidam immer wieder die Hand und küßte die Stirn ſeiner Tochter. Theodor erzählte nun die Ereigniſſe des letzten Abends. Marie lehnte an ſeiner Bruſt und ſchlang, als er von dem Kampf erzählte, den Arm ängſtlich um ihren Geliebten, wie um ſich zu verſichern, daß Alles vorbei ſei und ſie ihn ja ſicher beſitze. Die Mutter gab ihr einen Wink, der dem jungen Manne nicht entging. Da entzog ſie ihm den Arm und ſaß nun neben ihm, ohne ihn zu berühren. Er empfand es peinlich; er fühlte auch, als er nach einigen Stun¬ den gehen mußte und ſie an der Schwelle der Thür noch einmal von Herzen küßte, daß ſie es ſcheu er¬ wiederte und ihm zuerſt ihre Lippen entzog. Er ging mit einem wunderlichen Gefühl, einen Druck auf dem Herzen, eine widerwillig gedämpfte Glut in allen Pulſen. Draußen ſtand er unter der Pforte ſtill. Die Straße war menſchenleer; er kühlte ſich die Stirn an dem ſteinernen Pfoſten, ſtreckte die Arme aus, als wolle er ein Stück des Himmels herabziehn und an ſeine Bruſt preſſen, und ging dann etwas ruhiger den Weg zum Tritonen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/166
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/166>, abgerufen am 22.12.2024.