Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.weiße Tuch fest, das die Form des Kopfes nicht ver¬ Sie aß von dem Teller vor ihr, langsam und Als Bianchi endlich dazu kam, sich auf seinen Che, che! sagte der Sänger ernsthaft. Ich wollte, weiße Tuch feſt, das die Form des Kopfes nicht ver¬ Sie aß von dem Teller vor ihr, langſam und Als Bianchi endlich dazu kam, ſich auf ſeinen Chè, chè! ſagte der Sänger ernſthaft. Ich wollte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0185" n="173"/> weiße Tuch feſt, das die Form des Kopfes nicht ver¬<lb/> barg. Das Geſicht ſtand im erſten Flor der Jugend,<lb/> Schönheit und Geſundheit, drei Tugenden, die in<lb/> jenen Gegenden gern zuſammenhalten; nur war der<lb/> Ausdruck des Mundes von einer ſcheuen Weichheit<lb/> und Hingebung, faſt willenlos und ſchmerzlich, und<lb/> die großen Augenlieder bedeckten die Augen ganz,<lb/> daß nur ein ſchmaler funkelnder ſchwarzer Streif<lb/> verrieth, daß ſie wache.</p><lb/> <p>Sie aß von dem Teller vor ihr, langſam und<lb/> theilnahmlos, und trank ein wenig vom Wein, und<lb/> ihre braune Wange glühte immer in gleichem Feuer<lb/> fort. Neben ihr ſaß eine Alte in römiſcher Tracht,<lb/> lebhaft um ſich blickend, aber ſchweigſam und ganz<lb/> mit ihrem Wein und Eſſen beſchäftigt, das ſie gierig<lb/> genoß. Sie hatten nicht das Geringſte mit einander<lb/> gemein und ſchienen doch zu einander zu gehören.</p><lb/> <p>Als Bianchi endlich dazu kam, ſich auf ſeinen<lb/> Platz zu ſetzen und eben das erſte Glas geleert hatte,<lb/> fuhr er mit einem faſt komiſchen Erſtaunen zurück<lb/> und rief: Madonna ſanta! welch eine Schönheit!<lb/> Wie kommt Ihr zu ſolch einer Nachbarin, Sor Gigi!<lb/> Eine Nichte von Euch? Oder gar ein vergeſſenes<lb/> Kind, das Euch eines ſchönen Tags vor die Augen<lb/> gekommen? Geſegnet ſei ihre Mutter!</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">Chè, chè</hi>! ſagte der Sänger ernſthaft. Ich wollte,<lb/> Ihr hättet Recht. Fragt ſie ſelbſt, woher ſie kommt.<lb/> Mir hat das Zuckermündchen nicht Rede ſtehn wollen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [173/0185]
weiße Tuch feſt, das die Form des Kopfes nicht ver¬
barg. Das Geſicht ſtand im erſten Flor der Jugend,
Schönheit und Geſundheit, drei Tugenden, die in
jenen Gegenden gern zuſammenhalten; nur war der
Ausdruck des Mundes von einer ſcheuen Weichheit
und Hingebung, faſt willenlos und ſchmerzlich, und
die großen Augenlieder bedeckten die Augen ganz,
daß nur ein ſchmaler funkelnder ſchwarzer Streif
verrieth, daß ſie wache.
Sie aß von dem Teller vor ihr, langſam und
theilnahmlos, und trank ein wenig vom Wein, und
ihre braune Wange glühte immer in gleichem Feuer
fort. Neben ihr ſaß eine Alte in römiſcher Tracht,
lebhaft um ſich blickend, aber ſchweigſam und ganz
mit ihrem Wein und Eſſen beſchäftigt, das ſie gierig
genoß. Sie hatten nicht das Geringſte mit einander
gemein und ſchienen doch zu einander zu gehören.
Als Bianchi endlich dazu kam, ſich auf ſeinen
Platz zu ſetzen und eben das erſte Glas geleert hatte,
fuhr er mit einem faſt komiſchen Erſtaunen zurück
und rief: Madonna ſanta! welch eine Schönheit!
Wie kommt Ihr zu ſolch einer Nachbarin, Sor Gigi!
Eine Nichte von Euch? Oder gar ein vergeſſenes
Kind, das Euch eines ſchönen Tags vor die Augen
gekommen? Geſegnet ſei ihre Mutter!
Chè, chè! ſagte der Sänger ernſthaft. Ich wollte,
Ihr hättet Recht. Fragt ſie ſelbſt, woher ſie kommt.
Mir hat das Zuckermündchen nicht Rede ſtehn wollen.
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