Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, setzte men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="24"/> men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte<lb/> ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr<lb/> Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal,<lb/> er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die<lb/> Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo<lb/> fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht<lb/> komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte<lb/> ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem<lb/> Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn<lb/> ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es,<lb/> als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr<lb/> nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das<lb/> Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne,<lb/> Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und<lb/> Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie<lb/> ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte<lb/> Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher<lb/> ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er<lb/> ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe<lb/> und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun<lb/> auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo<lb/> hübſch. Er brauch' es auch nicht, und es ſei ihm<lb/> gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde.<lb/> Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen.<lb/> Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel<lb/> begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie<lb/> mehr?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0036]
men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte
ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr
Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal,
er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die
Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo
fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht
komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte
ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem
Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn
ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es,
als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr
nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das
Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne,
Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und
Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie
ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte
Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher
ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er
ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe
und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun
auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo
hübſch. Er brauch' es auch nicht, und es ſei ihm
gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde.
Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen.
Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel
begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie
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