Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

recht, daß du im Freien bliebst. Gott verhüte, daß
du dich krank gemacht hast!"

Sie schwieg eigensinnig und ließ sich in das Haus
zurückführen. Die Pfarrerin erschrak. Die feinen,
lieben Züge des Mädchens waren unheimlich verstört.
Man sorgte eilig für ein wärmendes Getränk und
brachte sie zu Bett, ohne mehr von ihr zu erfahren,
als daß ihr nicht wohl sei.

Und freilich war sie krank, und so schwer, daß
sie sich nach dem Ende sehnte. Das Leben war ihr
verhaßt, das sich ihr so feindlich bewies. In bitte¬
rem, gottverlassenem Sinnen lag sie, und die letzten
Fäden, die sie an die Menschen knüpften, zerriß sie
eigenmächtig. Ich will morgen hinauf, sprach sie
finster bei sich selbst. Er soll mich selbst an die
Tiefe führen, wo ein Fehltritt das Leben kostet. Und
seines wird ihn mein Tod nicht kosten. Was soll er
die Last noch ferner mit mir haben, die er aus Mit¬
leid bisher sich aufgebürdet hat?

Immer fester lagerte sich der unselige Vorsatz um
ihr Herz. Was war aus dem klaren, liebevollen Ge¬
müth in den kurzen Monaten der innerlichen Noth
geworden? Sie dachte sogar an die Folgen ihres
Frevels ohne Scheu und sagte trotzig vor sich hin:
Sie werden sich darein finden, wie sie es ertragen,
daß ich blind geblieben bin. Und ihm wird das
Jammerbild nicht mehr vor Augen stehen, das ihm

recht, daß du im Freien bliebſt. Gott verhüte, daß
du dich krank gemacht haſt!“

Sie ſchwieg eigenſinnig und ließ ſich in das Haus
zurückführen. Die Pfarrerin erſchrak. Die feinen,
lieben Züge des Mädchens waren unheimlich verſtört.
Man ſorgte eilig für ein wärmendes Getränk und
brachte ſie zu Bett, ohne mehr von ihr zu erfahren,
als daß ihr nicht wohl ſei.

Und freilich war ſie krank, und ſo ſchwer, daß
ſie ſich nach dem Ende ſehnte. Das Leben war ihr
verhaßt, das ſich ihr ſo feindlich bewies. In bitte¬
rem, gottverlaſſenem Sinnen lag ſie, und die letzten
Fäden, die ſie an die Menſchen knüpften, zerriß ſie
eigenmächtig. Ich will morgen hinauf, ſprach ſie
finſter bei ſich ſelbſt. Er ſoll mich ſelbſt an die
Tiefe führen, wo ein Fehltritt das Leben koſtet. Und
ſeines wird ihn mein Tod nicht koſten. Was ſoll er
die Laſt noch ferner mit mir haben, die er aus Mit¬
leid bisher ſich aufgebürdet hat?

Immer feſter lagerte ſich der unſelige Vorſatz um
ihr Herz. Was war aus dem klaren, liebevollen Ge¬
müth in den kurzen Monaten der innerlichen Noth
geworden? Sie dachte ſogar an die Folgen ihres
Frevels ohne Scheu und ſagte trotzig vor ſich hin:
Sie werden ſich darein finden, wie ſie es ertragen,
daß ich blind geblieben bin. Und ihm wird das
Jammerbild nicht mehr vor Augen ſtehen, das ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="31"/>
recht, daß du im Freien blieb&#x017F;t. Gott verhüte, daß<lb/>
du dich krank gemacht ha&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chwieg eigen&#x017F;innig und ließ &#x017F;ich in das Haus<lb/>
zurückführen. Die Pfarrerin er&#x017F;chrak. Die feinen,<lb/>
lieben Züge des Mädchens waren unheimlich ver&#x017F;tört.<lb/>
Man &#x017F;orgte eilig für ein wärmendes Getränk und<lb/>
brachte &#x017F;ie zu Bett, ohne mehr von ihr zu erfahren,<lb/>
als daß ihr nicht wohl &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>Und freilich war &#x017F;ie krank, und &#x017F;o &#x017F;chwer, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nach dem Ende &#x017F;ehnte. Das Leben war ihr<lb/>
verhaßt, das &#x017F;ich ihr &#x017F;o feindlich bewies. In bitte¬<lb/>
rem, gottverla&#x017F;&#x017F;enem Sinnen lag &#x017F;ie, und die letzten<lb/>
Fäden, die &#x017F;ie an die Men&#x017F;chen knüpften, zerriß &#x017F;ie<lb/>
eigenmächtig. Ich will morgen hinauf, &#x017F;prach &#x017F;ie<lb/>
fin&#x017F;ter bei &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Er &#x017F;oll mich &#x017F;elb&#x017F;t an die<lb/>
Tiefe führen, wo ein Fehltritt das Leben ko&#x017F;tet. Und<lb/>
&#x017F;eines wird ihn mein Tod nicht ko&#x017F;ten. Was &#x017F;oll er<lb/>
die La&#x017F;t noch ferner mit mir haben, die er aus Mit¬<lb/>
leid bisher &#x017F;ich aufgebürdet hat?</p><lb/>
          <p>Immer fe&#x017F;ter lagerte &#x017F;ich der un&#x017F;elige Vor&#x017F;atz um<lb/>
ihr Herz. Was war aus dem klaren, liebevollen Ge¬<lb/>
müth in den kurzen Monaten der innerlichen Noth<lb/>
geworden? Sie dachte &#x017F;ogar an die Folgen ihres<lb/>
Frevels ohne Scheu und &#x017F;agte trotzig vor &#x017F;ich hin:<lb/>
Sie werden &#x017F;ich darein finden, wie &#x017F;ie es ertragen,<lb/>
daß ich blind geblieben bin. Und ihm wird das<lb/>
Jammerbild nicht mehr vor Augen &#x017F;tehen, das ihm<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0043] recht, daß du im Freien bliebſt. Gott verhüte, daß du dich krank gemacht haſt!“ Sie ſchwieg eigenſinnig und ließ ſich in das Haus zurückführen. Die Pfarrerin erſchrak. Die feinen, lieben Züge des Mädchens waren unheimlich verſtört. Man ſorgte eilig für ein wärmendes Getränk und brachte ſie zu Bett, ohne mehr von ihr zu erfahren, als daß ihr nicht wohl ſei. Und freilich war ſie krank, und ſo ſchwer, daß ſie ſich nach dem Ende ſehnte. Das Leben war ihr verhaßt, das ſich ihr ſo feindlich bewies. In bitte¬ rem, gottverlaſſenem Sinnen lag ſie, und die letzten Fäden, die ſie an die Menſchen knüpften, zerriß ſie eigenmächtig. Ich will morgen hinauf, ſprach ſie finſter bei ſich ſelbſt. Er ſoll mich ſelbſt an die Tiefe führen, wo ein Fehltritt das Leben koſtet. Und ſeines wird ihn mein Tod nicht koſten. Was ſoll er die Laſt noch ferner mit mir haben, die er aus Mit¬ leid bisher ſich aufgebürdet hat? Immer feſter lagerte ſich der unſelige Vorſatz um ihr Herz. Was war aus dem klaren, liebevollen Ge¬ müth in den kurzen Monaten der innerlichen Noth geworden? Sie dachte ſogar an die Folgen ihres Frevels ohne Scheu und ſagte trotzig vor ſich hin: Sie werden ſich darein finden, wie ſie es ertragen, daß ich blind geblieben bin. Und ihm wird das Jammerbild nicht mehr vor Augen ſtehen, das ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/43
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/43>, abgerufen am 22.12.2024.