Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Desto heftiger erstaunte alle Welt als im Herbst die Heerden von den Bergen heimkamen und das Gerücht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, blühweißes und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften Härlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergnügt, habe die Schläge, mit denen Sie Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das härteste Verhör nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstoßen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen hätte, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel für ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen. Wem dies Alles, zumal die gerühmte Schönheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am nächsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Gerüchts zu überzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschmähte vom Küchelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und Tücher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr näherte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zurück, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast spöttisch: Gell, möcht'st den schwarzen Pudel an- Desto heftiger erstaunte alle Welt als im Herbst die Heerden von den Bergen heimkamen und das Gerücht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, blühweißes und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften Härlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergnügt, habe die Schläge, mit denen Sie Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das härteste Verhör nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstoßen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen hätte, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel für ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen. Wem dies Alles, zumal die gerühmte Schönheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am nächsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Gerüchts zu überzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschmähte vom Küchelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und Tücher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr näherte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zurück, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast spöttisch: Gell, möcht'st den schwarzen Pudel an- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <pb facs="#f0037"/> <p>Desto heftiger erstaunte alle Welt als im Herbst die Heerden von den Bergen heimkamen und das Gerücht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, blühweißes und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften Härlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergnügt, habe die Schläge, mit denen Sie Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das härteste Verhör nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstoßen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen hätte, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel für ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen.</p><lb/> <p>Wem dies Alles, zumal die gerühmte Schönheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am nächsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Gerüchts zu überzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschmähte vom Küchelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und Tücher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr näherte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zurück, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast spöttisch: Gell, möcht'st den schwarzen Pudel an-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
Desto heftiger erstaunte alle Welt als im Herbst die Heerden von den Bergen heimkamen und das Gerücht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, blühweißes und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften Härlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergnügt, habe die Schläge, mit denen Sie Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das härteste Verhör nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstoßen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen hätte, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel für ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen.
Wem dies Alles, zumal die gerühmte Schönheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am nächsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Gerüchts zu überzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschmähte vom Küchelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und Tücher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr näherte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zurück, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast spöttisch: Gell, möcht'st den schwarzen Pudel an-
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