Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

daran zu entbehren. Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch zusammmzusitzen, und obwohl Beide heranwuchsen, er ein kräftiger Jüngling wurde und sie längst den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein kindischer, ihr Gespräch ein thörichtes Geplauder. Sie that, was sie nur wußte und konnte, sein hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von Allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter erhielt, oder, da sie näschig war, sich in der Stadt kaufte seinen brüderlichen Antheil, und wenn er Jenes verschmähte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und saß im Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem Bette wurde. Sie hatte ihren Spaß, wenn er im Dunkeln nicht begriff, daß sie bei ihm war, und ihre Hand, die ihm in den Haaren zaus'te, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so hörte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien länger zu erleiden. Sie that es nicht anders, als daß er sie zur Kirche begleiten mußte, wo er dann von den Burschen, die

daran zu entbehren. Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch zusammmzusitzen, und obwohl Beide heranwuchsen, er ein kräftiger Jüngling wurde und sie längst den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein kindischer, ihr Gespräch ein thörichtes Geplauder. Sie that, was sie nur wußte und konnte, sein hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von Allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter erhielt, oder, da sie näschig war, sich in der Stadt kaufte seinen brüderlichen Antheil, und wenn er Jenes verschmähte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und saß im Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem Bette wurde. Sie hatte ihren Spaß, wenn er im Dunkeln nicht begriff, daß sie bei ihm war, und ihre Hand, die ihm in den Haaren zaus'te, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so hörte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien länger zu erleiden. Sie that es nicht anders, als daß er sie zur Kirche begleiten mußte, wo er dann von den Burschen, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0050"/>
daran zu entbehren.     Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch     zusammmzusitzen, und obwohl Beide heranwuchsen, er ein kräftiger Jüngling wurde und sie längst     den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein     kindischer, ihr Gespräch ein thörichtes Geplauder. Sie that, was sie nur wußte und konnte, sein     hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von Allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter     erhielt, oder, da sie näschig war, sich in der Stadt kaufte seinen brüderlichen Antheil, und     wenn er Jenes verschmähte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem     schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem     fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und saß im     Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem     Bette wurde. Sie hatte ihren Spaß, wenn er im Dunkeln nicht begriff, daß sie bei ihm war, und     ihre Hand, die ihm in den Haaren zaus'te, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa     eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so hörte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun     wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien länger zu erleiden. Sie that es     nicht anders, als daß er sie zur Kirche begleiten mußte, wo er dann von den Burschen, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] daran zu entbehren. Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch zusammmzusitzen, und obwohl Beide heranwuchsen, er ein kräftiger Jüngling wurde und sie längst den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein kindischer, ihr Gespräch ein thörichtes Geplauder. Sie that, was sie nur wußte und konnte, sein hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von Allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter erhielt, oder, da sie näschig war, sich in der Stadt kaufte seinen brüderlichen Antheil, und wenn er Jenes verschmähte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und saß im Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem Bette wurde. Sie hatte ihren Spaß, wenn er im Dunkeln nicht begriff, daß sie bei ihm war, und ihre Hand, die ihm in den Haaren zaus'te, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so hörte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien länger zu erleiden. Sie that es nicht anders, als daß er sie zur Kirche begleiten mußte, wo er dann von den Burschen, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/50
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/50>, abgerufen am 21.11.2024.