Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Talente sich dienstbar, die in der klassischen Periode unzweifelhaft höheren Formen sich zugewandt hätten.

So wurde zunächst mit einem Nachtheil für die sogenannte "hohe Poesie", die der rhythmischen Form nicht entbehren kann, der Gewinn für die Ausbildung einer künstlerischen Prosa bezahlt: aber auch für die Novelle selbst lagen in dem Hausrecht, das ihr der Journalismus einräumte, sehr erhebliche Gefahren. Denn es konnte nicht ausbleiben, daß man in der Nachbarschaft anderer Tagesneuigkeiten auch ihren Namen, der ja im Grunde nichts Anderes bedeutet, allzu wörtlich nehmen und die Novelle von gestern schon heute veraltet finden mußte. Von dem künstlerischen Rang, den sie in den Händen ihrer Meister erhalten, drohte sie zu bloßer Unterhaltungswaare herabzusinken und somit die schnelle und allgemeine Gunst, die sie erfuhr, durch die Flüchtigkeit dieser Gunst mehr als aufzuwiegen. Dazu machte sich auch ein künstlerischer Nachtheil nur allzu rasch fühlbar.

Die abgerissene Form des Erscheinens nämlich entwöhnte die Leser bald genug, auch eine Novelle als ein kleines Kunstwerk, ein abgerundetes Ganzes zu genießen und selbst an diese bescheidenste dichterische Form die Ansprüche der möglichsten Vollendung zu machen. Diese Genügsamkeit hatte die natürliche Folge, daß auch die Schaffenden Fähigkeit

Talente sich dienstbar, die in der klassischen Periode unzweifelhaft höheren Formen sich zugewandt hätten.

So wurde zunächst mit einem Nachtheil für die sogenannte „hohe Poesie“, die der rhythmischen Form nicht entbehren kann, der Gewinn für die Ausbildung einer künstlerischen Prosa bezahlt: aber auch für die Novelle selbst lagen in dem Hausrecht, das ihr der Journalismus einräumte, sehr erhebliche Gefahren. Denn es konnte nicht ausbleiben, daß man in der Nachbarschaft anderer Tagesneuigkeiten auch ihren Namen, der ja im Grunde nichts Anderes bedeutet, allzu wörtlich nehmen und die Novelle von gestern schon heute veraltet finden mußte. Von dem künstlerischen Rang, den sie in den Händen ihrer Meister erhalten, drohte sie zu bloßer Unterhaltungswaare herabzusinken und somit die schnelle und allgemeine Gunst, die sie erfuhr, durch die Flüchtigkeit dieser Gunst mehr als aufzuwiegen. Dazu machte sich auch ein künstlerischer Nachtheil nur allzu rasch fühlbar.

Die abgerissene Form des Erscheinens nämlich entwöhnte die Leser bald genug, auch eine Novelle als ein kleines Kunstwerk, ein abgerundetes Ganzes zu genießen und selbst an diese bescheidenste dichterische Form die Ansprüche der möglichsten Vollendung zu machen. Diese Genügsamkeit hatte die natürliche Folge, daß auch die Schaffenden Fähigkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0011" n="XI"/>
Talente sich dienstbar, die in der klassischen Periode                unzweifelhaft höheren Formen sich zugewandt hätten.</p>
        <p>So wurde zunächst mit einem Nachtheil für die sogenannte &#x201E;hohe Poesie&#x201C;, die der                rhythmischen Form nicht entbehren kann, der Gewinn für die Ausbildung einer                künstlerischen Prosa bezahlt: aber auch für die Novelle selbst lagen in dem                Hausrecht, das ihr der Journalismus einräumte, sehr erhebliche Gefahren. Denn es                konnte nicht ausbleiben, daß man in der Nachbarschaft anderer Tages<hi rendition="#g">neuigkeiten</hi> auch <hi rendition="#g">ihren</hi> Namen, der ja im Grunde nichts Anderes bedeutet, allzu wörtlich nehmen und die                Novelle von gestern schon heute veraltet finden mußte. Von dem künstlerischen Rang,                den sie in den Händen ihrer Meister erhalten, drohte sie zu bloßer Unterhaltungswaare                herabzusinken und somit die schnelle und allgemeine Gunst, die sie erfuhr, durch die                Flüchtigkeit dieser Gunst mehr als aufzuwiegen. Dazu machte sich auch ein                künstlerischer Nachtheil nur allzu rasch fühlbar.</p>
        <p>Die abgerissene Form des Erscheinens nämlich entwöhnte die Leser bald genug, auch                eine Novelle als ein kleines Kunstwerk, ein abgerundetes Ganzes zu genießen und                selbst an diese bescheidenste dichterische Form die Ansprüche der möglichsten                Vollendung zu machen. Diese Genügsamkeit hatte die natürliche Folge, daß auch die                Schaffenden Fähigkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XI/0011] Talente sich dienstbar, die in der klassischen Periode unzweifelhaft höheren Formen sich zugewandt hätten. So wurde zunächst mit einem Nachtheil für die sogenannte „hohe Poesie“, die der rhythmischen Form nicht entbehren kann, der Gewinn für die Ausbildung einer künstlerischen Prosa bezahlt: aber auch für die Novelle selbst lagen in dem Hausrecht, das ihr der Journalismus einräumte, sehr erhebliche Gefahren. Denn es konnte nicht ausbleiben, daß man in der Nachbarschaft anderer Tagesneuigkeiten auch ihren Namen, der ja im Grunde nichts Anderes bedeutet, allzu wörtlich nehmen und die Novelle von gestern schon heute veraltet finden mußte. Von dem künstlerischen Rang, den sie in den Händen ihrer Meister erhalten, drohte sie zu bloßer Unterhaltungswaare herabzusinken und somit die schnelle und allgemeine Gunst, die sie erfuhr, durch die Flüchtigkeit dieser Gunst mehr als aufzuwiegen. Dazu machte sich auch ein künstlerischer Nachtheil nur allzu rasch fühlbar. Die abgerissene Form des Erscheinens nämlich entwöhnte die Leser bald genug, auch eine Novelle als ein kleines Kunstwerk, ein abgerundetes Ganzes zu genießen und selbst an diese bescheidenste dichterische Form die Ansprüche der möglichsten Vollendung zu machen. Diese Genügsamkeit hatte die natürliche Folge, daß auch die Schaffenden Fähigkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871/11
Zitationshilfe: Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871/11>, abgerufen am 23.11.2024.