Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900.D. Hilbert, tümlichkeit oder ist es vielleicht ein allgemeines dem innerenWesen unseres Verstandes anhaftendes Gesetz, daß alle Fragen, die er stellt, auch durch ihn einer Beantwortung fähig sind? Trifft man doch auch in anderen Wissenschaften alte Probleme an, die durch den Beweis der Unmöglichkeit in der befriedigend- sten Weise und zum höchsten Nutzen der Wissenschaft er- ledigt worden sind. Ich erinnere an das Problem des Perpetuum mobile. Nach den vergeblichen Versuchen der Construktion eines Perpetuum mobile forschte man vielmehr nach den Beziehungen, die zwischen den Naturkräften bestehen müssen, wenn ein Per- petuum mobile unmöglich sein soll 1), und diese umgekehrte Frage- stellung führte auf die Entdeckung des Gesetzes von der Erhal- tung der Energie, das seinerseits die Unmöglichkeit des Perpe- tuum mobile in dem ursprünglich verlangten Sinne erklärt. Diese Ueberzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathe- Unermeßlich ist die Fülle von Problemen in der Mathematik, Ueberblicken wir die Principien der Analysis und der Geo- 1) Vgl. Helmholtz, Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte und die
darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik. Vortrag, gehalten in Königsberg 1854. D. Hilbert, tümlichkeit oder ist es vielleicht ein allgemeines dem innerenWesen unseres Verstandes anhaftendes Gesetz, daß alle Fragen, die er stellt, auch durch ihn einer Beantwortung fähig sind? Trifft man doch auch in anderen Wissenschaften alte Probleme an, die durch den Beweis der Unmöglichkeit in der befriedigend- sten Weise und zum höchsten Nutzen der Wissenschaft er- ledigt worden sind. Ich erinnere an das Problem des Perpetuum mobile. Nach den vergeblichen Versuchen der Construktion eines Perpetuum mobile forschte man vielmehr nach den Beziehungen, die zwischen den Naturkräften bestehen müssen, wenn ein Per- petuum mobile unmöglich sein soll 1), und diese umgekehrte Frage- stellung führte auf die Entdeckung des Gesetzes von der Erhal- tung der Energie, das seinerseits die Unmöglichkeit des Perpe- tuum mobile in dem ursprünglich verlangten Sinne erklärt. Diese Ueberzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathe- Unermeßlich ist die Fülle von Problemen in der Mathematik, Ueberblicken wir die Principien der Analysis und der Geo- 1) Vgl. Helmholtz, Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte und die
darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik. Vortrag, gehalten in Königsberg 1854. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="262"/><fw place="top" type="header">D. <hi rendition="#g">Hilbert</hi>,</fw><lb/> tümlichkeit oder ist es vielleicht ein allgemeines dem inneren<lb/> Wesen unseres Verstandes anhaftendes Gesetz, daß alle Fragen,<lb/> die er stellt, auch durch ihn einer Beantwortung fähig sind?<lb/> Trifft man doch auch in anderen Wissenschaften alte Probleme<lb/> an, die durch den Beweis der Unmöglichkeit in der befriedigend-<lb/> sten Weise und zum höchsten Nutzen der Wissenschaft er-<lb/> ledigt worden sind. Ich erinnere an das Problem des Perpetuum<lb/> mobile. Nach den vergeblichen Versuchen der Construktion eines<lb/> Perpetuum mobile forschte man vielmehr nach den Beziehungen,<lb/> die zwischen den Naturkräften bestehen müssen, wenn ein Per-<lb/> petuum mobile unmöglich sein soll <note place="foot" n="1)">Vgl. <hi rendition="#g">Helmholtz</hi>, Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte und die<lb/> darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik. Vortrag, gehalten in<lb/> Königsberg 1854.</note>, und diese umgekehrte Frage-<lb/> stellung führte auf die Entdeckung des Gesetzes von der Erhal-<lb/> tung der Energie, das seinerseits die Unmöglichkeit des Perpe-<lb/> tuum mobile in dem ursprünglich verlangten Sinne erklärt.</p><lb/> <p>Diese Ueberzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathe-<lb/> matischen Problems ist uns ein kräftiger Ansporn während der<lb/> Arbeit; wir hören in uns den steten Zuruf: <hi rendition="#g">Da ist das Pro-<lb/> blem, suche die Lösung. Du kannst sie durch reines<lb/> Denken finden; denn in der Mathematik giebt es<lb/> kein Ignorabimus</hi>!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Unermeßlich ist die Fülle von Problemen in der Mathematik,<lb/> und sobald ein Problem gelöst ist, tauchen an dessen Stelle zahl-<lb/> lose neue Probleme auf. Gestatten Sie mir im Folgenden, gleich-<lb/> sam zur Probe, aus verschiedenen mathematischen Disciplinen ein-<lb/> zelne bestimmte Probleme zu nennen, von deren Behandlung eine<lb/> Förderung der Wissenschaft sich erwarten läßt.</p><lb/> <p>Ueberblicken wir die Principien der Analysis und der Geo-<lb/> metrie. Die anregendsten und bedeutendsten Ereignisse des letzten<lb/> Jahrhunderts sind auf diesem Gebiete, wie mir scheint, die arith-<lb/> metische Erfassung des Begriffs des Continuums in den Arbeiten<lb/> von <hi rendition="#g">Cauchy, Bolzano, Cantor</hi> und die Entdeckung der<lb/> Nicht-<hi rendition="#g">Euklidischen</hi> Geometrie durch <hi rendition="#g">Gauss, Bolyai, Lo-<lb/> batschefskiy</hi>. Ich lenke daher zunächst Ihre Aufmerksamkeit<lb/> auf einige diesen Gebieten angehörenden Probleme.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [262/0018]
D. Hilbert,
tümlichkeit oder ist es vielleicht ein allgemeines dem inneren
Wesen unseres Verstandes anhaftendes Gesetz, daß alle Fragen,
die er stellt, auch durch ihn einer Beantwortung fähig sind?
Trifft man doch auch in anderen Wissenschaften alte Probleme
an, die durch den Beweis der Unmöglichkeit in der befriedigend-
sten Weise und zum höchsten Nutzen der Wissenschaft er-
ledigt worden sind. Ich erinnere an das Problem des Perpetuum
mobile. Nach den vergeblichen Versuchen der Construktion eines
Perpetuum mobile forschte man vielmehr nach den Beziehungen,
die zwischen den Naturkräften bestehen müssen, wenn ein Per-
petuum mobile unmöglich sein soll 1), und diese umgekehrte Frage-
stellung führte auf die Entdeckung des Gesetzes von der Erhal-
tung der Energie, das seinerseits die Unmöglichkeit des Perpe-
tuum mobile in dem ursprünglich verlangten Sinne erklärt.
Diese Ueberzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathe-
matischen Problems ist uns ein kräftiger Ansporn während der
Arbeit; wir hören in uns den steten Zuruf: Da ist das Pro-
blem, suche die Lösung. Du kannst sie durch reines
Denken finden; denn in der Mathematik giebt es
kein Ignorabimus!
Unermeßlich ist die Fülle von Problemen in der Mathematik,
und sobald ein Problem gelöst ist, tauchen an dessen Stelle zahl-
lose neue Probleme auf. Gestatten Sie mir im Folgenden, gleich-
sam zur Probe, aus verschiedenen mathematischen Disciplinen ein-
zelne bestimmte Probleme zu nennen, von deren Behandlung eine
Förderung der Wissenschaft sich erwarten läßt.
Ueberblicken wir die Principien der Analysis und der Geo-
metrie. Die anregendsten und bedeutendsten Ereignisse des letzten
Jahrhunderts sind auf diesem Gebiete, wie mir scheint, die arith-
metische Erfassung des Begriffs des Continuums in den Arbeiten
von Cauchy, Bolzano, Cantor und die Entdeckung der
Nicht-Euklidischen Geometrie durch Gauss, Bolyai, Lo-
batschefskiy. Ich lenke daher zunächst Ihre Aufmerksamkeit
auf einige diesen Gebieten angehörenden Probleme.
1) Vgl. Helmholtz, Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte und die
darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik. Vortrag, gehalten in
Königsberg 1854.
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