Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

ser lieben Mutter, um sie zu drücken und zu
küssen. Ich konnte diese -- ich will sie
Brautnacht nennen nicht schlafen und war
also ein Augenzeuge von diesem Vorgange
wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein
Ritzchen verriegelt hatte.

Des Morgens erfuhr ich den Aufschluß
dieser Ceremonie, die sich von der Schwester
der Mutter meiner Mutter herschrieb, welche
behauptet hatte daß das Concept unterm Küs-
sen sehr das Gedächtnis stärcke. Ich glaub's
nicht fügte meine Mutter hinzu indessen ist's
in der Familie beybehalten bis auf die vorige
Nacht.

Ich hielte meine Predigt mit erwünsch-
tem Glücke, allein ohne Rührung, indem
wie ich schon bemerkt habe mein Auge herum
wanckte und bey N. 5. sich lagerte.

Ich sahe ein was mein Vater oft zu be-
haupten pflegte. Ein Geistlicher muß wie
ein Vater zu seinen Kindern reden. Wenn
er sich's aufschreibt muß ers nicht der Ge-
meine sondern seines Gedächtnisses wegen
thun. Auch ein Vater macht sich wol ein
Promemoria wenn er viel mit seinem Sohne
zu sprechen hat.


Meine
M 4

ſer lieben Mutter, um ſie zu druͤcken und zu
kuͤſſen. Ich konnte dieſe — ich will ſie
Brautnacht nennen nicht ſchlafen und war
alſo ein Augenzeuge von dieſem Vorgange
wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein
Ritzchen verriegelt hatte.

Des Morgens erfuhr ich den Aufſchluß
dieſer Ceremonie, die ſich von der Schweſter
der Mutter meiner Mutter herſchrieb, welche
behauptet hatte daß das Concept unterm Kuͤſ-
ſen ſehr das Gedaͤchtnis ſtaͤrcke. Ich glaub’s
nicht fuͤgte meine Mutter hinzu indeſſen iſt’s
in der Familie beybehalten bis auf die vorige
Nacht.

Ich hielte meine Predigt mit erwuͤnſch-
tem Gluͤcke, allein ohne Ruͤhrung, indem
wie ich ſchon bemerkt habe mein Auge herum
wanckte und bey N. 5. ſich lagerte.

Ich ſahe ein was mein Vater oft zu be-
haupten pflegte. Ein Geiſtlicher muß wie
ein Vater zu ſeinen Kindern reden. Wenn
er ſich’s aufſchreibt muß ers nicht der Ge-
meine ſondern ſeines Gedaͤchtniſſes wegen
thun. Auch ein Vater macht ſich wol ein
Promemoria wenn er viel mit ſeinem Sohne
zu ſprechen hat.


Meine
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="181"/>
&#x017F;er lieben Mutter, um &#x017F;ie zu dru&#x0364;cken und zu<lb/>
ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Ich konnte die&#x017F;e &#x2014; ich will &#x017F;ie<lb/>
Brautnacht nennen nicht &#x017F;chlafen und war<lb/>
al&#x017F;o ein Augenzeuge von die&#x017F;em Vorgange<lb/>
wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein<lb/>
Ritzchen verriegelt hatte.</p><lb/>
        <p>Des Morgens erfuhr ich den Auf&#x017F;chluß<lb/>
die&#x017F;er Ceremonie, die &#x017F;ich von der Schwe&#x017F;ter<lb/>
der Mutter meiner Mutter her&#x017F;chrieb, welche<lb/>
behauptet hatte daß das Concept unterm Ku&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ehr das Geda&#x0364;chtnis &#x017F;ta&#x0364;rcke. Ich glaub&#x2019;s<lb/>
nicht fu&#x0364;gte meine Mutter hinzu inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
in der Familie beybehalten bis auf die vorige<lb/>
Nacht.</p><lb/>
        <p>Ich hielte meine Predigt mit erwu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
tem Glu&#x0364;cke, allein ohne Ru&#x0364;hrung, indem<lb/>
wie ich &#x017F;chon bemerkt habe mein Auge herum<lb/>
wanckte und bey <hi rendition="#aq">N.</hi> 5. &#x017F;ich lagerte.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;ahe ein was mein Vater oft zu be-<lb/>
haupten pflegte. Ein Gei&#x017F;tlicher muß wie<lb/>
ein Vater zu &#x017F;einen Kindern reden. Wenn<lb/>
er &#x017F;ich&#x2019;s auf&#x017F;chreibt muß ers nicht der Ge-<lb/>
meine &#x017F;ondern &#x017F;eines Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;es wegen<lb/>
thun. Auch ein Vater macht &#x017F;ich wol ein<lb/>
Promemoria wenn er viel mit &#x017F;einem Sohne<lb/>
zu &#x017F;prechen hat.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">M 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Meine</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0189] ſer lieben Mutter, um ſie zu druͤcken und zu kuͤſſen. Ich konnte dieſe — ich will ſie Brautnacht nennen nicht ſchlafen und war alſo ein Augenzeuge von dieſem Vorgange wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein Ritzchen verriegelt hatte. Des Morgens erfuhr ich den Aufſchluß dieſer Ceremonie, die ſich von der Schweſter der Mutter meiner Mutter herſchrieb, welche behauptet hatte daß das Concept unterm Kuͤſ- ſen ſehr das Gedaͤchtnis ſtaͤrcke. Ich glaub’s nicht fuͤgte meine Mutter hinzu indeſſen iſt’s in der Familie beybehalten bis auf die vorige Nacht. Ich hielte meine Predigt mit erwuͤnſch- tem Gluͤcke, allein ohne Ruͤhrung, indem wie ich ſchon bemerkt habe mein Auge herum wanckte und bey N. 5. ſich lagerte. Ich ſahe ein was mein Vater oft zu be- haupten pflegte. Ein Geiſtlicher muß wie ein Vater zu ſeinen Kindern reden. Wenn er ſich’s aufſchreibt muß ers nicht der Ge- meine ſondern ſeines Gedaͤchtniſſes wegen thun. Auch ein Vater macht ſich wol ein Promemoria wenn er viel mit ſeinem Sohne zu ſprechen hat. Meine M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/189
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/189>, abgerufen am 24.11.2024.