Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

samkeit die Geburt und Abkunft der Namen
Curland, Lettland und Semgallen bestritten
hatte, so wollen Sie denn, den Herzogthü-
mern Curland, und Semgallen die ehrlichen
Namen absprechen?

Lieber curischer Freund antwortete mein
Vater unbiegsam wie der curische Käse,
doch auch so dicht und fest wie er. Nie-
mand kommt aus seinem Vaterlande. Seit-
dem die neue Welt entdeckt worden, ist sie
ein Theil von unserm Geburtsorte. Bin ich
im Gefängnisse beim Gastmal am Hofe in
der Stadt auf dem Lande in Mitau im
-- -- Pastorat ich bin beständig zu
Hause. Ein Thor sagt, daß er vertrieben
sei, ein Weiser hat nur eine Reise unternom-
men, wenn er im Exilium ist. Oft ist man
in seinem Vaterlande ein Sclave und im
Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr
als leben und sterben man sey in Rom oder
in Tunis. Tristia und Briefe aus Ponto
sind Räusche eines Dichters. Ein Weiser
kann selbst Ach nur halb aussprechen wenn
er leidet; obschon das Wort nur dritthalb
Buchstaben, und wenn man ganz ehrlich seyn
will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver-
mögen hat. Wer sich angewöhnet hat blos

zu

ſamkeit die Geburt und Abkunft der Namen
Curland, Lettland und Semgallen beſtritten
hatte, ſo wollen Sie denn, den Herzogthuͤ-
mern Curland, und Semgallen die ehrlichen
Namen abſprechen?

Lieber curiſcher Freund antwortete mein
Vater unbiegſam wie der curiſche Kaͤſe,
doch auch ſo dicht und feſt wie er. Nie-
mand kommt aus ſeinem Vaterlande. Seit-
dem die neue Welt entdeckt worden, iſt ſie
ein Theil von unſerm Geburtsorte. Bin ich
im Gefaͤngniſſe beim Gaſtmal am Hofe in
der Stadt auf dem Lande in Mitau im
— — Paſtorat ich bin beſtaͤndig zu
Hauſe. Ein Thor ſagt, daß er vertrieben
ſei, ein Weiſer hat nur eine Reiſe unternom-
men, wenn er im Exilium iſt. Oft iſt man
in ſeinem Vaterlande ein Sclave und im
Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr
als leben und ſterben man ſey in Rom oder
in Tunis. Triſtia und Briefe aus Ponto
ſind Raͤuſche eines Dichters. Ein Weiſer
kann ſelbſt Ach nur halb ausſprechen wenn
er leidet; obſchon das Wort nur dritthalb
Buchſtaben, und wenn man ganz ehrlich ſeyn
will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver-
moͤgen hat. Wer ſich angewoͤhnet hat blos

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="14"/>
&#x017F;amkeit die Geburt und Abkunft der Namen<lb/>
Curland, Lettland und Semgallen be&#x017F;tritten<lb/>
hatte, &#x017F;o wollen Sie denn, den Herzogthu&#x0364;-<lb/>
mern Curland, und Semgallen die ehrlichen<lb/>
Namen ab&#x017F;prechen?</p><lb/>
        <p>Lieber curi&#x017F;cher Freund antwortete mein<lb/>
Vater unbieg&#x017F;am wie der curi&#x017F;che Ka&#x0364;&#x017F;e,<lb/>
doch auch &#x017F;o dicht und fe&#x017F;t wie er. Nie-<lb/>
mand kommt aus &#x017F;einem Vaterlande. Seit-<lb/>
dem die neue Welt entdeckt worden, i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
ein Theil von un&#x017F;erm Geburtsorte. Bin ich<lb/>
im Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e beim Ga&#x017F;tmal am Hofe in<lb/>
der Stadt auf dem Lande in Mitau im<lb/>
&#x2014; &#x2014; Pa&#x017F;torat ich bin be&#x017F;ta&#x0364;ndig zu<lb/>
Hau&#x017F;e. Ein Thor &#x017F;agt, daß er vertrieben<lb/>
&#x017F;ei, ein Wei&#x017F;er hat nur eine Rei&#x017F;e unternom-<lb/>
men, wenn er im Exilium i&#x017F;t. Oft i&#x017F;t man<lb/>
in &#x017F;einem Vaterlande ein Sclave und im<lb/>
Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr<lb/>
als leben und &#x017F;terben man &#x017F;ey in <hi rendition="#fr">Rom</hi> oder<lb/>
in <hi rendition="#fr">Tunis. Tri&#x017F;tia</hi> und <hi rendition="#fr">Briefe</hi> aus <hi rendition="#fr">Ponto</hi><lb/>
&#x017F;ind Ra&#x0364;u&#x017F;che eines Dichters. Ein Wei&#x017F;er<lb/>
kann &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">Ach</hi> nur halb aus&#x017F;prechen wenn<lb/>
er leidet; ob&#x017F;chon das Wort nur dritthalb<lb/>
Buch&#x017F;taben, und wenn man ganz ehrlich &#x017F;eyn<lb/>
will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen hat. Wer &#x017F;ich angewo&#x0364;hnet hat blos<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0022] ſamkeit die Geburt und Abkunft der Namen Curland, Lettland und Semgallen beſtritten hatte, ſo wollen Sie denn, den Herzogthuͤ- mern Curland, und Semgallen die ehrlichen Namen abſprechen? Lieber curiſcher Freund antwortete mein Vater unbiegſam wie der curiſche Kaͤſe, doch auch ſo dicht und feſt wie er. Nie- mand kommt aus ſeinem Vaterlande. Seit- dem die neue Welt entdeckt worden, iſt ſie ein Theil von unſerm Geburtsorte. Bin ich im Gefaͤngniſſe beim Gaſtmal am Hofe in der Stadt auf dem Lande in Mitau im — — Paſtorat ich bin beſtaͤndig zu Hauſe. Ein Thor ſagt, daß er vertrieben ſei, ein Weiſer hat nur eine Reiſe unternom- men, wenn er im Exilium iſt. Oft iſt man in ſeinem Vaterlande ein Sclave und im Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr als leben und ſterben man ſey in Rom oder in Tunis. Triſtia und Briefe aus Ponto ſind Raͤuſche eines Dichters. Ein Weiſer kann ſelbſt Ach nur halb ausſprechen wenn er leidet; obſchon das Wort nur dritthalb Buchſtaben, und wenn man ganz ehrlich ſeyn will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver- moͤgen hat. Wer ſich angewoͤhnet hat blos zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/22
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/22>, abgerufen am 21.11.2024.