schon weg -- Du kommst zwar wieder, al- lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt, wie ich sie geliebt habe, und wie sehr ich Ur- sach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief- träger einen Vertrauten nöthig gehabt, wäre Sie es gewesen. Du hast mirs gesagt und geschrieben. Ein Mädchen kann zur Ver- trauten in der Liebe Niemand anders als eine Mutter nehmen -- höchstens einen Bruder. Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin unsre Liebe nicht entdecken wilst -- du schreibst, ein guter, sehr guter Junge, nur er ist das in die Flucht schlagen gewohnt. Wer Ge- heimnisse bewahren will, muß das Siegen ge- wohnt seyn. Wir arme Leutchen, jetzt schrei- ben wir einander und tragen die Briefe selbst an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht mehr dreyßig Schritte für Männer, und sech- zig Schritte für Weiber, und fünfundvierzig Schritte, wenn wir beide zusammen gehen, von mir entfernt seyn wirst, wie werd ich dir meine Briefe im Buch reichen oder in die Hand drücken, oder auf diese oder jene Stäte legen, welche der liebe Gott blos unserer Briefe wegen so dick mit Gras bewachsen lies, um unser Geheimnis zu decken. O Gott! wenn ich an deine Abreise dencke, ists
mir
Q 4
ſchon weg — Du kommſt zwar wieder, al- lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt, wie ich ſie geliebt habe, und wie ſehr ich Ur- ſach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief- traͤger einen Vertrauten noͤthig gehabt, waͤre Sie es geweſen. Du haſt mirs geſagt und geſchrieben. Ein Maͤdchen kann zur Ver- trauten in der Liebe Niemand anders als eine Mutter nehmen — hoͤchſtens einen Bruder. Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin unſre Liebe nicht entdecken wilſt — du ſchreibſt, ein guter, ſehr guter Junge, nur er iſt das in die Flucht ſchlagen gewohnt. Wer Ge- heimniſſe bewahren will, muß das Siegen ge- wohnt ſeyn. Wir arme Leutchen, jetzt ſchrei- ben wir einander und tragen die Briefe ſelbſt an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht mehr dreyßig Schritte fuͤr Maͤnner, und ſech- zig Schritte fuͤr Weiber, und fuͤnfundvierzig Schritte, wenn wir beide zuſammen gehen, von mir entfernt ſeyn wirſt, wie werd ich dir meine Briefe im Buch reichen oder in die Hand druͤcken, oder auf dieſe oder jene Staͤte legen, welche der liebe Gott blos unſerer Briefe wegen ſo dick mit Gras bewachſen lies, um unſer Geheimnis zu decken. O Gott! wenn ich an deine Abreiſe dencke, iſts
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ſchon weg — Du kommſt zwar wieder, al-
lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt,
wie ich ſie geliebt habe, und wie ſehr ich Ur-
ſach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief-
traͤger einen Vertrauten noͤthig gehabt, waͤre
Sie es geweſen. Du haſt mirs geſagt und
geſchrieben. Ein Maͤdchen kann zur Ver-
trauten in der Liebe Niemand anders als eine
Mutter nehmen — hoͤchſtens einen Bruder.
Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin
unſre Liebe nicht entdecken wilſt — du ſchreibſt,
ein guter, ſehr guter Junge, nur er iſt das
in die Flucht ſchlagen gewohnt. Wer Ge-
heimniſſe bewahren will, muß das Siegen ge-
wohnt ſeyn. Wir arme Leutchen, jetzt ſchrei-
ben wir einander und tragen die Briefe ſelbſt
an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht
mehr dreyßig Schritte fuͤr Maͤnner, und ſech-
zig Schritte fuͤr Weiber, und fuͤnfundvierzig
Schritte, wenn wir beide zuſammen gehen,
von mir entfernt ſeyn wirſt, wie werd ich dir
meine Briefe im Buch reichen oder in die
Hand druͤcken, oder auf dieſe oder jene Staͤte
legen, welche der liebe Gott blos unſerer
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lies, um unſer Geheimnis zu decken. O
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/257>, abgerufen am 23.11.2024.
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