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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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macht er sie anschauend, und ein solcher Ver-
stand heißt ein gesunder Verstand.
Herr v. G. Und sieht aus, wie alles, was
frisch und gesund ist. Nicht wahr, er kennt
keine Terminologie!
Vater. Er kocht freilich nicht aus der phi-
losophischen Speisekammer, sondern nimmts
aus der Welt. Er giebt nichts Geräucher-
tes, Früchte, Geküche trägt er auf. --
Herr v. G. Sinnen sind die Bauren. Sie
stehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen --
wenn sie nicht wären? Ich ärgere mich wenn
man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt
und herabsetzt -- bald hätt ich mich verre-
det und gesagt: sie sind ja auch Menschen --
Sie verstehen mich schon, Pastor.
Pastor. Vollständig!
Herr v. G. Warum sind wir unerkenntlich
gegen die Sinne?
Pastor. Ich habe schon einen Grund an-
gegeben; hiezu kommt, weil wir alles hassen,
was uns unsre Freiheit raubt, und sie ein-
schränkt. Gelt! das ist ein Grund für ei-
nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum
würd' ich allen Herren Moralisten, wes
Standes, Alters, und Ehren sie seyn mö-
gen, anräthig seyn, die Tugend nicht in ih-
rer
macht er ſie anſchauend, und ein ſolcher Ver-
ſtand heißt ein geſunder Verſtand.
Herr v. G. Und ſieht aus, wie alles, was
friſch und geſund iſt. Nicht wahr, er kennt
keine Terminologie!
Vater. Er kocht freilich nicht aus der phi-
loſophiſchen Speiſekammer, ſondern nimmts
aus der Welt. Er giebt nichts Geraͤucher-
tes, Fruͤchte, Gekuͤche traͤgt er auf. —
Herr v. G. Sinnen ſind die Bauren. Sie
ſtehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen —
wenn ſie nicht waͤren? Ich aͤrgere mich wenn
man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt
und herabſetzt — bald haͤtt ich mich verre-
det und geſagt: ſie ſind ja auch Menſchen —
Sie verſtehen mich ſchon, Paſtor.
Paſtor. Vollſtaͤndig!
Herr v. G. Warum ſind wir unerkenntlich
gegen die Sinne?
Paſtor. Ich habe ſchon einen Grund an-
gegeben; hiezu kommt, weil wir alles haſſen,
was uns unſre Freiheit raubt, und ſie ein-
ſchraͤnkt. Gelt! das iſt ein Grund fuͤr ei-
nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum
wuͤrd’ ich allen Herren Moraliſten, wes
Standes, Alters, und Ehren ſie ſeyn moͤ-
gen, anraͤthig ſeyn, die Tugend nicht in ih-
rer
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[412/0424] macht er ſie anſchauend, und ein ſolcher Ver- ſtand heißt ein geſunder Verſtand. Herr v. G. Und ſieht aus, wie alles, was friſch und geſund iſt. Nicht wahr, er kennt keine Terminologie! Vater. Er kocht freilich nicht aus der phi- loſophiſchen Speiſekammer, ſondern nimmts aus der Welt. Er giebt nichts Geraͤucher- tes, Fruͤchte, Gekuͤche traͤgt er auf. — Herr v. G. Sinnen ſind die Bauren. Sie ſtehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen — wenn ſie nicht waͤren? Ich aͤrgere mich wenn man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt und herabſetzt — bald haͤtt ich mich verre- det und geſagt: ſie ſind ja auch Menſchen — Sie verſtehen mich ſchon, Paſtor. Paſtor. Vollſtaͤndig! Herr v. G. Warum ſind wir unerkenntlich gegen die Sinne? Paſtor. Ich habe ſchon einen Grund an- gegeben; hiezu kommt, weil wir alles haſſen, was uns unſre Freiheit raubt, und ſie ein- ſchraͤnkt. Gelt! das iſt ein Grund fuͤr ei- nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum wuͤrd’ ich allen Herren Moraliſten, wes Standes, Alters, und Ehren ſie ſeyn moͤ- gen, anraͤthig ſeyn, die Tugend nicht in ih- rer

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/424>, abgerufen am 24.11.2024.