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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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und in ihr denken können. Ein Gott, Eine
Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geist,
Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache --

Es giebt sagt' er keine nackte Wahrheit.
Worte finden heißt denken. Worte sind was
körperliches was sinnliches sie sind die Kleider
der Gedanken -- Beiwörter der Besaz:
Worte der eigentliche Anzug. Wer deutsch
gedacht und lateinisch geschrieben hat ist,
wenn er gleich der beste Lateiner wäre, doch
ein Deutscher. Cieero würd' ihn für keinen
Landsmann halten. Um französisch zu
schreiben muß man Franzose seyn, um eng-
lisch, Engländer. Wer fremde Sprachen
zu Etwas mehr braucht als sich andren Leu-
ten, die nicht unsre Mutter kennen, ver-
ständlich zu machen; ist allemal ein schwa-
cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es sitze das
Uebel wo es wolle.

Mein Vater war bei alle dem so wenig
wieder viele Sprachen, daß er sie vielmehr
nach dem Thurm zu Babel so nothwendig,
als vielerley Essen nach dem höchstbetrübten
Sündenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt'
er, sind viele Creditbriefe. Zeige sie vor,
du bist überall willkommen. Kein Türke
schläget einen Christen todt, wenn der Christ

türkisch
E 3

und in ihr denken koͤnnen. Ein Gott, Eine
Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geiſt,
Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache —

Es giebt ſagt’ er keine nackte Wahrheit.
Worte finden heißt denken. Worte ſind was
koͤrperliches was ſinnliches ſie ſind die Kleider
der Gedanken — Beiwoͤrter der Beſaz:
Worte der eigentliche Anzug. Wer deutſch
gedacht und lateiniſch geſchrieben hat iſt,
wenn er gleich der beſte Lateiner waͤre, doch
ein Deutſcher. Cieero wuͤrd’ ihn fuͤr keinen
Landsmann halten. Um franzoͤſiſch zu
ſchreiben muß man Franzoſe ſeyn, um eng-
liſch, Englaͤnder. Wer fremde Sprachen
zu Etwas mehr braucht als ſich andren Leu-
ten, die nicht unſre Mutter kennen, ver-
ſtaͤndlich zu machen; iſt allemal ein ſchwa-
cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es ſitze das
Uebel wo es wolle.

Mein Vater war bei alle dem ſo wenig
wieder viele Sprachen, daß er ſie vielmehr
nach dem Thurm zu Babel ſo nothwendig,
als vielerley Eſſen nach dem hoͤchſtbetruͤbten
Suͤndenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt’
er, ſind viele Creditbriefe. Zeige ſie vor,
du biſt uͤberall willkommen. Kein Tuͤrke
ſchlaͤget einen Chriſten todt, wenn der Chriſt

tuͤrkiſch
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[67/0075] und in ihr denken koͤnnen. Ein Gott, Eine Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geiſt, Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache — Es giebt ſagt’ er keine nackte Wahrheit. Worte finden heißt denken. Worte ſind was koͤrperliches was ſinnliches ſie ſind die Kleider der Gedanken — Beiwoͤrter der Beſaz: Worte der eigentliche Anzug. Wer deutſch gedacht und lateiniſch geſchrieben hat iſt, wenn er gleich der beſte Lateiner waͤre, doch ein Deutſcher. Cieero wuͤrd’ ihn fuͤr keinen Landsmann halten. Um franzoͤſiſch zu ſchreiben muß man Franzoſe ſeyn, um eng- liſch, Englaͤnder. Wer fremde Sprachen zu Etwas mehr braucht als ſich andren Leu- ten, die nicht unſre Mutter kennen, ver- ſtaͤndlich zu machen; iſt allemal ein ſchwa- cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es ſitze das Uebel wo es wolle. Mein Vater war bei alle dem ſo wenig wieder viele Sprachen, daß er ſie vielmehr nach dem Thurm zu Babel ſo nothwendig, als vielerley Eſſen nach dem hoͤchſtbetruͤbten Suͤndenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt’ er, ſind viele Creditbriefe. Zeige ſie vor, du biſt uͤberall willkommen. Kein Tuͤrke ſchlaͤget einen Chriſten todt, wenn der Chriſt tuͤrkiſch E 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/75>, abgerufen am 24.11.2024.