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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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freyer Boden das erste war, was mein Fuß
betrat. Das fühl' ich noch! noch! daß er
frey war, und ich wünschte, meine Leser
möchten es auch, wo nicht überall, so doch
wenigstens an einigen Stellen gefühlt haben!
Natur und freyer Staat sind Geschwisterkind,
und vertragen sich wie Kinder! -- Etwas
reine klare Natur muß bey jedem Werk der
Kunst seyn, und dies etwas eignet sich See-
lenwürde zu, es ist Seele, es ist göttlicher
Hauch, lebendiger Othem in die Nase. Die
Kunst, die Verschönerung, ist Leib. --
Man kann in Wahrheit auch die Menschensee-
le durch den Menschenkörper verschönern. --
Nur leider heut zu Tage wird der Körper nicht
verschönert, sondern geschwächt. Ich leugn'
es nicht, daß dadurch, daß der auswendige
Mensch gelitten, der inwendige Mensch zum
Theil zugenommen, wir haben mehr Seele
und weniger Körper bekommen; es frägt sich
aber, ob wir gewonnen oder verloren ha-
ben? Wir haben aufgehört zu genießen, und
haben angefangen zu denken!

Wer lacht, macht zu lachen: wer weint,
macht zu weinen. Denn es giebt kein ge-
fährlicheres Thier, den Affen selbst nicht
ausgenommen, als den Menschen, allein

wer

freyer Boden das erſte war, was mein Fuß
betrat. Das fuͤhl’ ich noch! noch! daß er
frey war, und ich wuͤnſchte, meine Leſer
moͤchten es auch, wo nicht uͤberall, ſo doch
wenigſtens an einigen Stellen gefuͤhlt haben!
Natur und freyer Staat ſind Geſchwiſterkind,
und vertragen ſich wie Kinder! — Etwas
reine klare Natur muß bey jedem Werk der
Kunſt ſeyn, und dies etwas eignet ſich See-
lenwuͤrde zu, es iſt Seele, es iſt goͤttlicher
Hauch, lebendiger Othem in die Naſe. Die
Kunſt, die Verſchoͤnerung, iſt Leib.
Man kann in Wahrheit auch die Menſchenſee-
le durch den Menſchenkoͤrper verſchoͤnern. —
Nur leider heut zu Tage wird der Koͤrper nicht
verſchoͤnert, ſondern geſchwaͤcht. Ich leugn’
es nicht, daß dadurch, daß der auswendige
Menſch gelitten, der inwendige Menſch zum
Theil zugenommen, wir haben mehr Seele
und weniger Koͤrper bekommen; es fraͤgt ſich
aber, ob wir gewonnen oder verloren ha-
ben? Wir haben aufgehoͤrt zu genießen, und
haben angefangen zu denken!

Wer lacht, macht zu lachen: wer weint,
macht zu weinen. Denn es giebt kein ge-
faͤhrlicheres Thier, den Affen ſelbſt nicht
ausgenommen, als den Menſchen, allein

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[168/0176] freyer Boden das erſte war, was mein Fuß betrat. Das fuͤhl’ ich noch! noch! daß er frey war, und ich wuͤnſchte, meine Leſer moͤchten es auch, wo nicht uͤberall, ſo doch wenigſtens an einigen Stellen gefuͤhlt haben! Natur und freyer Staat ſind Geſchwiſterkind, und vertragen ſich wie Kinder! — Etwas reine klare Natur muß bey jedem Werk der Kunſt ſeyn, und dies etwas eignet ſich See- lenwuͤrde zu, es iſt Seele, es iſt goͤttlicher Hauch, lebendiger Othem in die Naſe. Die Kunſt, die Verſchoͤnerung, iſt Leib. — Man kann in Wahrheit auch die Menſchenſee- le durch den Menſchenkoͤrper verſchoͤnern. — Nur leider heut zu Tage wird der Koͤrper nicht verſchoͤnert, ſondern geſchwaͤcht. Ich leugn’ es nicht, daß dadurch, daß der auswendige Menſch gelitten, der inwendige Menſch zum Theil zugenommen, wir haben mehr Seele und weniger Koͤrper bekommen; es fraͤgt ſich aber, ob wir gewonnen oder verloren ha- ben? Wir haben aufgehoͤrt zu genießen, und haben angefangen zu denken! Wer lacht, macht zu lachen: wer weint, macht zu weinen. Denn es giebt kein ge- faͤhrlicheres Thier, den Affen ſelbſt nicht ausgenommen, als den Menſchen, allein wer

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/176>, abgerufen am 25.11.2024.