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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Tag geendet hat, und keine Sonn mehr
scheint.

Lebe wohl, herzlich geliebtes Vaterland!
Du hast mich gelehrt, die Freyheit schätzen,
obgleich du selbst bey weitem noch nicht frey
bist, sondern dich zu Pohlen verhälst, wie
ein Aufschlag zum Kleide. -- Frevelhafte
Beschuldigung ist es, daß man in deinem
Schoos wie eine Flinte sey, die nicht mehr,
nicht weniger knallt, es fall' ein Sperling
oder ein Mensch, nach Gottes Bilde ge-
macht. Es giebt monarchische Staaten,
wo man sich über den Kopf eines Mörders
wenigstens zwölf Monate bedenkt, so, daß
das Publikum die Verbindung zwischen Ver-
brechen und Strafe vergißt, und der Pastor
loci recht gemächlich Gelegenheit nehmen
kann, den Geist und Kraft der Religion
an diesem Bösewicht ad oculum zu demon-
striren. Alle Mörder sterben alsdenn wie
der Schächer am Kreutze! Dagegen fließt in
diesen Staaten das Blut von tausend Edlen
im Kriege. Niemand lötet die Wunden
der Redlichen. -- Es giebt Thiere, sagte
mein Vater, die im Marmor, aber nicht
im Leben gefallen, und so wie der Bienen-
schwarm, so der freye Staat. -- Nicht

also

Tag geendet hat, und keine Sonn mehr
ſcheint.

Lebe wohl, herzlich geliebtes Vaterland!
Du haſt mich gelehrt, die Freyheit ſchaͤtzen,
obgleich du ſelbſt bey weitem noch nicht frey
biſt, ſondern dich zu Pohlen verhaͤlſt, wie
ein Aufſchlag zum Kleide. — Frevelhafte
Beſchuldigung iſt es, daß man in deinem
Schoos wie eine Flinte ſey, die nicht mehr,
nicht weniger knallt, es fall’ ein Sperling
oder ein Menſch, nach Gottes Bilde ge-
macht. Es giebt monarchiſche Staaten,
wo man ſich uͤber den Kopf eines Moͤrders
wenigſtens zwoͤlf Monate bedenkt, ſo, daß
das Publikum die Verbindung zwiſchen Ver-
brechen und Strafe vergißt, und der Paſtor
loci recht gemaͤchlich Gelegenheit nehmen
kann, den Geiſt und Kraft der Religion
an dieſem Boͤſewicht ad oculum zu demon-
ſtriren. Alle Moͤrder ſterben alsdenn wie
der Schaͤcher am Kreutze! Dagegen fließt in
dieſen Staaten das Blut von tauſend Edlen
im Kriege. Niemand loͤtet die Wunden
der Redlichen. — Es giebt Thiere, ſagte
mein Vater, die im Marmor, aber nicht
im Leben gefallen, und ſo wie der Bienen-
ſchwarm, ſo der freye Staat. — Nicht

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[172/0180] Tag geendet hat, und keine Sonn mehr ſcheint. Lebe wohl, herzlich geliebtes Vaterland! Du haſt mich gelehrt, die Freyheit ſchaͤtzen, obgleich du ſelbſt bey weitem noch nicht frey biſt, ſondern dich zu Pohlen verhaͤlſt, wie ein Aufſchlag zum Kleide. — Frevelhafte Beſchuldigung iſt es, daß man in deinem Schoos wie eine Flinte ſey, die nicht mehr, nicht weniger knallt, es fall’ ein Sperling oder ein Menſch, nach Gottes Bilde ge- macht. Es giebt monarchiſche Staaten, wo man ſich uͤber den Kopf eines Moͤrders wenigſtens zwoͤlf Monate bedenkt, ſo, daß das Publikum die Verbindung zwiſchen Ver- brechen und Strafe vergißt, und der Paſtor loci recht gemaͤchlich Gelegenheit nehmen kann, den Geiſt und Kraft der Religion an dieſem Boͤſewicht ad oculum zu demon- ſtriren. Alle Moͤrder ſterben alsdenn wie der Schaͤcher am Kreutze! Dagegen fließt in dieſen Staaten das Blut von tauſend Edlen im Kriege. Niemand loͤtet die Wunden der Redlichen. — Es giebt Thiere, ſagte mein Vater, die im Marmor, aber nicht im Leben gefallen, und ſo wie der Bienen- ſchwarm, ſo der freye Staat. — Nicht alſo

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/180>, abgerufen am 25.11.2024.