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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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fahrungsphilosophie. Empirische und ratio-
nale, und damit die Eintheilung in Rück-
sicht des Objekts nicht vernachläßiget wer-
de -- Philosophie der engelreinen Vernunft,
und der menschlichen Sinne. Die Philosophie
der Sinne heißt die Naturlehre. Die Sin-
ne sind zwiefach, innerlich und äußerlich.
Was ich mit dem innerlichen Sinn gewahr
werde, ist einzig und allein meine Seele.
Also giebts Seelennaturlehre und Körperna-
turlehre. -- Empirisch und rational kann
jene und diese seyn, und was kann nicht alles
so seyn? -- -- Ich kann zwar nur mit mir
selbst Seelenbetrachtungen anstellen; allein
ich kann nach dem Kennzeichen der Ueberein-
stimmung auf andre schließen. Welch ein
großes Wort: lern dich selbst kennen! --
Mancher Philosoph, der sich auf die Seelen-
naturlehre legt, und viel drinn philosophirt,
kommt endlich zu einer Art nota bene, zu
einer Art von Geisterseherey, von Anschauung
vom Platonismus und mystischen Wesen. Er
wird entzückt, und wenn man gleich mit dem
Verstande nicht sehen, sondern nur denken
kann; so ist er doch in einer Verfassung, wo
es heißen könnte: Es hat kein Auge gesehen,
kein Ohr gehört, es ist in keines Menschen

Herz

fahrungsphiloſophie. Empiriſche und ratio-
nale, und damit die Eintheilung in Ruͤck-
ſicht des Objekts nicht vernachlaͤßiget wer-
de — Philoſophie der engelreinen Vernunft,
und der menſchlichen Sinne. Die Philoſophie
der Sinne heißt die Naturlehre. Die Sin-
ne ſind zwiefach, innerlich und aͤußerlich.
Was ich mit dem innerlichen Sinn gewahr
werde, iſt einzig und allein meine Seele.
Alſo giebts Seelennaturlehre und Koͤrperna-
turlehre. — Empiriſch und rational kann
jene und dieſe ſeyn, und was kann nicht alles
ſo ſeyn? — — Ich kann zwar nur mit mir
ſelbſt Seelenbetrachtungen anſtellen; allein
ich kann nach dem Kennzeichen der Ueberein-
ſtimmung auf andre ſchließen. Welch ein
großes Wort: lern dich ſelbſt kennen!
Mancher Philoſoph, der ſich auf die Seelen-
naturlehre legt, und viel drinn philoſophirt,
kommt endlich zu einer Art nota bene, zu
einer Art von Geiſterſeherey, von Anſchauung
vom Platonismus und myſtiſchen Weſen. Er
wird entzuͤckt, und wenn man gleich mit dem
Verſtande nicht ſehen, ſondern nur denken
kann; ſo iſt er doch in einer Verfaſſung, wo
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[230/0238] fahrungsphiloſophie. Empiriſche und ratio- nale, und damit die Eintheilung in Ruͤck- ſicht des Objekts nicht vernachlaͤßiget wer- de — Philoſophie der engelreinen Vernunft, und der menſchlichen Sinne. Die Philoſophie der Sinne heißt die Naturlehre. Die Sin- ne ſind zwiefach, innerlich und aͤußerlich. Was ich mit dem innerlichen Sinn gewahr werde, iſt einzig und allein meine Seele. Alſo giebts Seelennaturlehre und Koͤrperna- turlehre. — Empiriſch und rational kann jene und dieſe ſeyn, und was kann nicht alles ſo ſeyn? — — Ich kann zwar nur mit mir ſelbſt Seelenbetrachtungen anſtellen; allein ich kann nach dem Kennzeichen der Ueberein- ſtimmung auf andre ſchließen. Welch ein großes Wort: lern dich ſelbſt kennen! — Mancher Philoſoph, der ſich auf die Seelen- naturlehre legt, und viel drinn philoſophirt, kommt endlich zu einer Art nota bene, zu einer Art von Geiſterſeherey, von Anſchauung vom Platonismus und myſtiſchen Weſen. Er wird entzuͤckt, und wenn man gleich mit dem Verſtande nicht ſehen, ſondern nur denken kann; ſo iſt er doch in einer Verfaſſung, wo es heißen koͤnnte: Es hat kein Auge geſehen, kein Ohr gehoͤrt, es iſt in keines Menſchen Herz

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/238>, abgerufen am 23.11.2024.