Aufruhr in jeder Ader, das Blut schien alle Aderdämme brechen zu wollen. -- Doch! sie selbst --
Gott sey gelobt und gebenedeyt! Ich hab' überwunden! Ich bin wieder ruhig, und wieder gut! -- O lieber Mann, man hat mir erzählt, daß eh' die lezte Todesangst eintritt, jeder Ster- bende entsetzlich unruhig sey, da er nichts weiter kann, soll er das Deckbette reißen -- unsere Mutter riß es nicht. -- So, lieber Mann, war ich gestern! ich riß das Deck- bett' und warf mich gräslich, bald zur Rech- ten, bald zur Linken. -- Allein nach dieser Unruhe folgt bey Sterbenden was -- der Name des Herrn sey gelobt! Bey mir folgte -- sanfte, sanfte Ergebung. -- Ich gieng noch mit einem aufgewiegelten Herzen, mit siedendem Blut. -- Alle Adern schienen mir den Dienst aufzusagen, und wolten springen -- so gieng ich in die Kirche -- zum lezten- mal, dacht' ich! Gewiß ein rührender Ge- danke; mir war ers nicht. -- Ich fieng an zu beten, ich drückte die Augen dicht zum Gebet zu; allein konnt' ich? -- Die Augen rissen sich los. Sie hielten nicht zusammen, und ich mußte das Kirchengestühl ansehen, wo der Verführer mich zur allgemeinen Stöh-
rung
Z 5
Aufruhr in jeder Ader, das Blut ſchien alle Aderdaͤmme brechen zu wollen. — Doch! ſie ſelbſt —
Gott ſey gelobt und gebenedeyt! Ich hab’ uͤberwunden! Ich bin wieder ruhig, und wieder gut! — O lieber Mann, man hat mir erzaͤhlt, daß eh’ die lezte Todesangſt eintritt, jeder Ster- bende entſetzlich unruhig ſey, da er nichts weiter kann, ſoll er das Deckbette reißen — unſere Mutter riß es nicht. — So, lieber Mann, war ich geſtern! ich riß das Deck- bett’ und warf mich graͤslich, bald zur Rech- ten, bald zur Linken. — Allein nach dieſer Unruhe folgt bey Sterbenden was — der Name des Herrn ſey gelobt! Bey mir folgte — ſanfte, ſanfte Ergebung. — Ich gieng noch mit einem aufgewiegelten Herzen, mit ſiedendem Blut. — Alle Adern ſchienen mir den Dienſt aufzuſagen, und wolten ſpringen — ſo gieng ich in die Kirche — zum lezten- mal, dacht’ ich! Gewiß ein ruͤhrender Ge- danke; mir war ers nicht. — Ich fieng an zu beten, ich druͤckte die Augen dicht zum Gebet zu; allein konnt’ ich? — Die Augen riſſen ſich los. Sie hielten nicht zuſammen, und ich mußte das Kirchengeſtuͤhl anſehen, wo der Verfuͤhrer mich zur allgemeinen Stoͤh-
rung
Z 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0369"n="361"/>
Aufruhr in jeder Ader, das Blut ſchien alle<lb/>
Aderdaͤmme brechen zu wollen. — Doch!<lb/>ſie ſelbſt —</p><lb/><p>Gott ſey gelobt und gebenedeyt! Ich hab’<lb/>
uͤberwunden! Ich bin wieder ruhig, und wieder<lb/>
gut! — O lieber Mann, man hat mir erzaͤhlt,<lb/>
daß eh’ die lezte Todesangſt eintritt, jeder Ster-<lb/>
bende entſetzlich unruhig ſey, da er nichts<lb/>
weiter kann, ſoll er das Deckbette reißen —<lb/>
unſere Mutter riß es nicht. — So, lieber<lb/>
Mann, war ich geſtern! ich riß das Deck-<lb/>
bett’ und warf mich graͤslich, bald zur Rech-<lb/>
ten, bald zur Linken. — Allein nach dieſer<lb/>
Unruhe folgt bey Sterbenden was — der<lb/>
Name des Herrn ſey gelobt! Bey mir folgte<lb/>—ſanfte, ſanfte Ergebung. — Ich gieng<lb/>
noch mit einem aufgewiegelten Herzen, mit<lb/>ſiedendem Blut. — Alle Adern ſchienen mir<lb/>
den Dienſt aufzuſagen, und wolten ſpringen<lb/>—ſo gieng ich in die Kirche — zum lezten-<lb/>
mal, dacht’ ich! Gewiß ein ruͤhrender Ge-<lb/>
danke; mir war ers nicht. — Ich fieng an<lb/>
zu beten, ich druͤckte die Augen dicht zum<lb/>
Gebet zu; allein konnt’ ich? — Die Augen<lb/>
riſſen ſich los. Sie hielten nicht zuſammen,<lb/>
und ich mußte das Kirchengeſtuͤhl anſehen,<lb/>
wo der Verfuͤhrer mich zur allgemeinen Stoͤh-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">rung</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[361/0369]
Aufruhr in jeder Ader, das Blut ſchien alle
Aderdaͤmme brechen zu wollen. — Doch!
ſie ſelbſt —
Gott ſey gelobt und gebenedeyt! Ich hab’
uͤberwunden! Ich bin wieder ruhig, und wieder
gut! — O lieber Mann, man hat mir erzaͤhlt,
daß eh’ die lezte Todesangſt eintritt, jeder Ster-
bende entſetzlich unruhig ſey, da er nichts
weiter kann, ſoll er das Deckbette reißen —
unſere Mutter riß es nicht. — So, lieber
Mann, war ich geſtern! ich riß das Deck-
bett’ und warf mich graͤslich, bald zur Rech-
ten, bald zur Linken. — Allein nach dieſer
Unruhe folgt bey Sterbenden was — der
Name des Herrn ſey gelobt! Bey mir folgte
— ſanfte, ſanfte Ergebung. — Ich gieng
noch mit einem aufgewiegelten Herzen, mit
ſiedendem Blut. — Alle Adern ſchienen mir
den Dienſt aufzuſagen, und wolten ſpringen
— ſo gieng ich in die Kirche — zum lezten-
mal, dacht’ ich! Gewiß ein ruͤhrender Ge-
danke; mir war ers nicht. — Ich fieng an
zu beten, ich druͤckte die Augen dicht zum
Gebet zu; allein konnt’ ich? — Die Augen
riſſen ſich los. Sie hielten nicht zuſammen,
und ich mußte das Kirchengeſtuͤhl anſehen,
wo der Verfuͤhrer mich zur allgemeinen Stoͤh-
rung
Z 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/369>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.