Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
in diesem Jammerthal!
so fähr mich, Herr, im Himmel ein
zur auserwählten Zahl!
Und also leb' und sterb' ich dir,
du starker Zebaoth,
im Tod und Leben hilfst du mir
aus aller Angst und Noth!

Sie legt' es nicht an zu schlafen, denn
daran war nicht zu denken -- Sie wolte nur
ruhen -- auch das konnte sie nicht. All' Au-
genblick sprang sie auf, dies Isaacsopfer! Je
näher aber zum Morgen, je ruhiger. Sie fieng
an einzusehen, daß sie sich vergebens gefürchtet
hatte. -- Sie war indessen so sehr an Furcht
und Zittern gewöhnt, daß auch der helle lichte
Morgen sie nicht völlig beruhigen konnte. --

Da kamen Pferd und Wagen nach ih-
rem Vater, und diese brachten ihr die verlohr-
ne Ruhe mit. Mine dankte Gott, der Großes
an ihr gethan, der bisher geholfen, und al-
les, alles, wohlgemacht hatte. -- Sie
konnte weder die aufgeschlagene Bibel, noch
das aufgeschlagene Messer, ansehen! --
Mit Entsetzen wand sie ihr Gesicht weg, und
machte beydes zu! Es kam ihr vor, als
sähe sie Menschenblut auf dem Messer! Der
Ort, wo sie dies Messer gewetzet, machte sie

schwind-
in dieſem Jammerthal!
ſo faͤhr mich, Herr, im Himmel ein
zur auserwaͤhlten Zahl!
Und alſo leb’ und ſterb’ ich dir,
du ſtarker Zebaoth,
im Tod und Leben hilfſt du mir
aus aller Angſt und Noth!

Sie legt’ es nicht an zu ſchlafen, denn
daran war nicht zu denken — Sie wolte nur
ruhen — auch das konnte ſie nicht. All’ Au-
genblick ſprang ſie auf, dies Iſaacsopfer! Je
naͤher aber zum Morgen, je ruhiger. Sie fieng
an einzuſehen, daß ſie ſich vergebens gefuͤrchtet
hatte. — Sie war indeſſen ſo ſehr an Furcht
und Zittern gewoͤhnt, daß auch der helle lichte
Morgen ſie nicht voͤllig beruhigen konnte. —

Da kamen Pferd und Wagen nach ih-
rem Vater, und dieſe brachten ihr die verlohr-
ne Ruhe mit. Mine dankte Gott, der Großes
an ihr gethan, der bisher geholfen, und al-
les, alles, wohlgemacht hatte. — Sie
konnte weder die aufgeſchlagene Bibel, noch
das aufgeſchlagene Meſſer, anſehen! —
Mit Entſetzen wand ſie ihr Geſicht weg, und
machte beydes zu! Es kam ihr vor, als
ſaͤhe ſie Menſchenblut auf dem Meſſer! Der
Ort, wo ſie dies Meſſer gewetzet, machte ſie

ſchwind-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0387" n="379"/>
          <lg type="poem">
            <l>in die&#x017F;em Jammerthal!</l><lb/>
            <l>&#x017F;o fa&#x0364;hr mich, Herr, im Himmel ein</l><lb/>
            <l>zur auserwa&#x0364;hlten Zahl!</l><lb/>
            <l>Und al&#x017F;o leb&#x2019; und &#x017F;terb&#x2019; ich dir,</l><lb/>
            <l>du &#x017F;tarker Zebaoth,</l><lb/>
            <l>im Tod und Leben hilf&#x017F;t du mir</l><lb/>
            <l>aus aller Ang&#x017F;t und Noth!</l>
          </lg><lb/>
          <p>Sie legt&#x2019; es nicht an zu &#x017F;chlafen, denn<lb/>
daran war nicht zu denken &#x2014; Sie wolte nur<lb/>
ruhen &#x2014; auch das konnte &#x017F;ie nicht. All&#x2019; Au-<lb/>
genblick &#x017F;prang &#x017F;ie auf, dies I&#x017F;aacsopfer! Je<lb/>
na&#x0364;her aber zum Morgen, je ruhiger. Sie fieng<lb/>
an einzu&#x017F;ehen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich vergebens gefu&#x0364;rchtet<lb/>
hatte. &#x2014; Sie war inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;ehr an Furcht<lb/>
und Zittern gewo&#x0364;hnt, daß auch der helle lichte<lb/>
Morgen &#x017F;ie nicht vo&#x0364;llig beruhigen konnte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Da kamen Pferd und Wagen nach ih-<lb/>
rem Vater, und die&#x017F;e brachten ihr die verlohr-<lb/>
ne Ruhe mit. Mine dankte Gott, der Großes<lb/>
an ihr gethan, der bisher geholfen, und al-<lb/>
les, alles, wohlgemacht hatte. &#x2014; Sie<lb/>
konnte weder die aufge&#x017F;chlagene Bibel, noch<lb/>
das aufge&#x017F;chlagene Me&#x017F;&#x017F;er, an&#x017F;ehen! &#x2014;<lb/>
Mit Ent&#x017F;etzen wand &#x017F;ie ihr Ge&#x017F;icht weg, und<lb/>
machte beydes zu! Es kam ihr vor, als<lb/>
&#x017F;a&#x0364;he &#x017F;ie Men&#x017F;chenblut auf dem Me&#x017F;&#x017F;er! Der<lb/>
Ort, wo &#x017F;ie dies Me&#x017F;&#x017F;er gewetzet, machte &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chwind-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0387] in dieſem Jammerthal! ſo faͤhr mich, Herr, im Himmel ein zur auserwaͤhlten Zahl! Und alſo leb’ und ſterb’ ich dir, du ſtarker Zebaoth, im Tod und Leben hilfſt du mir aus aller Angſt und Noth! Sie legt’ es nicht an zu ſchlafen, denn daran war nicht zu denken — Sie wolte nur ruhen — auch das konnte ſie nicht. All’ Au- genblick ſprang ſie auf, dies Iſaacsopfer! Je naͤher aber zum Morgen, je ruhiger. Sie fieng an einzuſehen, daß ſie ſich vergebens gefuͤrchtet hatte. — Sie war indeſſen ſo ſehr an Furcht und Zittern gewoͤhnt, daß auch der helle lichte Morgen ſie nicht voͤllig beruhigen konnte. — Da kamen Pferd und Wagen nach ih- rem Vater, und dieſe brachten ihr die verlohr- ne Ruhe mit. Mine dankte Gott, der Großes an ihr gethan, der bisher geholfen, und al- les, alles, wohlgemacht hatte. — Sie konnte weder die aufgeſchlagene Bibel, noch das aufgeſchlagene Meſſer, anſehen! — Mit Entſetzen wand ſie ihr Geſicht weg, und machte beydes zu! Es kam ihr vor, als ſaͤhe ſie Menſchenblut auf dem Meſſer! Der Ort, wo ſie dies Meſſer gewetzet, machte ſie ſchwind-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/387
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/387>, abgerufen am 22.11.2024.