Sterbenslauf ihrer Mutter, (die Verwandt- schaft kam von Mutter Seite her,) erzählen, und die guten Leute freuten sich über ihre Ver- sorgung! Wer einmal oben ist, o! der ist wohl versorgt! sagten sie beyde. Wer weiß, wie nahe mir mein End', setzten sie hinzu, auch Mine sagte: Wer weiß, und alle drey freu- ten sich.
Die unglücklichen Leute hatten einen Sohn, der Pastor an der Grenze war, wie sie sich ausdrückten! Wenn er lieber was anders wäre, wünschten sie, dann würden wir eher Hülfe von ihm erwarten können. Mine befragte sie, ob sie denn schon Proben von sei- ner Härte hätten? Härte können wir es nicht nennen, erwiederten sie. Er hat sich das Be- ten statt des Gebens so angewöhnt, und frey- lich kommt man dabey am wohlfeilsten ab. Hohl doch, sagt' er, liebe Mutter, hohl doch den Brief vom neuen Jahr, da ist ein Ge- bet drinn, das ein Kirchengebet werden könnte!
Unser Nachbar, sagte die liebe Mutter, anstatt daß sie den Brief mit dem Gebet holte, welches ein Kirchengebet werden könnte, un- ser Nachbar hatt' eben so ein Pachtunglück; aber wie weit glücklicher ist der! Er hat ei-
nen
B b 4
Sterbenslauf ihrer Mutter, (die Verwandt- ſchaft kam von Mutter Seite her,) erzaͤhlen, und die guten Leute freuten ſich uͤber ihre Ver- ſorgung! Wer einmal oben iſt, o! der iſt wohl verſorgt! ſagten ſie beyde. Wer weiß, wie nahe mir mein End’, ſetzten ſie hinzu, auch Mine ſagte: Wer weiß, und alle drey freu- ten ſich.
Die ungluͤcklichen Leute hatten einen Sohn, der Paſtor an der Grenze war, wie ſie ſich ausdruͤckten! Wenn er lieber was anders waͤre, wuͤnſchten ſie, dann wuͤrden wir eher Huͤlfe von ihm erwarten koͤnnen. Mine befragte ſie, ob ſie denn ſchon Proben von ſei- ner Haͤrte haͤtten? Haͤrte koͤnnen wir es nicht nennen, erwiederten ſie. Er hat ſich das Be- ten ſtatt des Gebens ſo angewoͤhnt, und frey- lich kommt man dabey am wohlfeilſten ab. Hohl doch, ſagt’ er, liebe Mutter, hohl doch den Brief vom neuen Jahr, da iſt ein Ge- bet drinn, das ein Kirchengebet werden koͤnnte!
Unſer Nachbar, ſagte die liebe Mutter, anſtatt daß ſie den Brief mit dem Gebet holte, welches ein Kirchengebet werden koͤnnte, un- ſer Nachbar hatt’ eben ſo ein Pachtungluͤck; aber wie weit gluͤcklicher iſt der! Er hat ei-
nen
B b 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0401"n="391"/>
Sterbenslauf ihrer Mutter, (die Verwandt-<lb/>ſchaft kam von Mutter Seite her,) erzaͤhlen,<lb/>
und die guten Leute freuten ſich uͤber ihre Ver-<lb/>ſorgung! Wer einmal oben iſt, o! der iſt wohl<lb/>
verſorgt! ſagten ſie beyde. Wer weiß, wie<lb/>
nahe mir mein End’, ſetzten ſie hinzu, auch<lb/>
Mine ſagte: Wer weiß, und alle drey freu-<lb/>
ten ſich.</p><lb/><p>Die ungluͤcklichen Leute hatten einen<lb/>
Sohn, der Paſtor an der Grenze war, wie<lb/>ſie ſich ausdruͤckten! Wenn er lieber was<lb/>
anders waͤre, wuͤnſchten ſie, dann wuͤrden wir<lb/>
eher Huͤlfe von ihm <hirendition="#fr">erwarten</hi> koͤnnen. Mine<lb/>
befragte ſie, ob ſie <hirendition="#fr">denn ſchon</hi> Proben von ſei-<lb/>
ner Haͤrte haͤtten? Haͤrte koͤnnen wir es nicht<lb/>
nennen, erwiederten ſie. Er hat ſich das Be-<lb/>
ten ſtatt des Gebens ſo angewoͤhnt, und frey-<lb/>
lich kommt man dabey am wohlfeilſten ab.<lb/>
Hohl doch, ſagt’ er, liebe Mutter, hohl doch<lb/>
den Brief vom neuen Jahr, da iſt ein Ge-<lb/>
bet drinn, das ein Kirchengebet werden<lb/>
koͤnnte!</p><lb/><p>Unſer Nachbar, ſagte die liebe Mutter,<lb/>
anſtatt daß ſie den Brief mit dem Gebet holte,<lb/>
welches ein Kirchengebet werden koͤnnte, un-<lb/>ſer Nachbar hatt’ eben ſo ein Pachtungluͤck;<lb/>
aber wie weit gluͤcklicher iſt der! Er hat ei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B b 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">nen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[391/0401]
Sterbenslauf ihrer Mutter, (die Verwandt-
ſchaft kam von Mutter Seite her,) erzaͤhlen,
und die guten Leute freuten ſich uͤber ihre Ver-
ſorgung! Wer einmal oben iſt, o! der iſt wohl
verſorgt! ſagten ſie beyde. Wer weiß, wie
nahe mir mein End’, ſetzten ſie hinzu, auch
Mine ſagte: Wer weiß, und alle drey freu-
ten ſich.
Die ungluͤcklichen Leute hatten einen
Sohn, der Paſtor an der Grenze war, wie
ſie ſich ausdruͤckten! Wenn er lieber was
anders waͤre, wuͤnſchten ſie, dann wuͤrden wir
eher Huͤlfe von ihm erwarten koͤnnen. Mine
befragte ſie, ob ſie denn ſchon Proben von ſei-
ner Haͤrte haͤtten? Haͤrte koͤnnen wir es nicht
nennen, erwiederten ſie. Er hat ſich das Be-
ten ſtatt des Gebens ſo angewoͤhnt, und frey-
lich kommt man dabey am wohlfeilſten ab.
Hohl doch, ſagt’ er, liebe Mutter, hohl doch
den Brief vom neuen Jahr, da iſt ein Ge-
bet drinn, das ein Kirchengebet werden
koͤnnte!
Unſer Nachbar, ſagte die liebe Mutter,
anſtatt daß ſie den Brief mit dem Gebet holte,
welches ein Kirchengebet werden koͤnnte, un-
ſer Nachbar hatt’ eben ſo ein Pachtungluͤck;
aber wie weit gluͤcklicher iſt der! Er hat ei-
nen
B b 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/401>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.