nach dem dunkeln Morgen noch einige Tage; allein es waren nur noch wenige Tropfen im Kelch! -- Sie klagte wenig über Schmerzen, was ich dulde, duld' ich Gott. Kopfweh, Brust- schmerz und ein schleichendes Fieber, waren die Zerstörer ihres Lebens. --
An einem sehr schönen Morgen kam der Prediger zu ihr. Gretchen war schon da. Sie nahm den Prediger und Gretchen bey der Hand. Dank! Dank! für alles Gute! Gott lohn Sie, sprach sie sehr leise -- für alles, für alles -- sie sprach noch schwächer, stam- melte, schwieg, blickte sehr schnell auf, sah Gretchen, sah den Prediger an, hob ihr Haupt, fiel zurück, schloß ihre Augen und (Gott mein Ende sey wie ihr Ende!) starb -- --
So war die Ahndung der Seligen er- füllt, daß sie des Morgens sterben würde. Der Tag, der letzte Tag für Minen unter der Sonne, gieng schön auf, und blieb, wie er anfieng. Gretchen war außer sich! Sie war nicht von der Seligen zu bringen! O! der letzte Tropfen Todesschweiß, schrie sie, wie er da starr steht, und der Prediger -- Gott hat abgewaschen die Thränen von ihren Au-
gen.
K k 2
nach dem dunkeln Morgen noch einige Tage; allein es waren nur noch wenige Tropfen im Kelch! — Sie klagte wenig uͤber Schmerzen, was ich dulde, duld’ ich Gott. Kopfweh, Bruſt- ſchmerz und ein ſchleichendes Fieber, waren die Zerſtoͤrer ihres Lebens. —
An einem ſehr ſchoͤnen Morgen kam der Prediger zu ihr. Gretchen war ſchon da. Sie nahm den Prediger und Gretchen bey der Hand. Dank! Dank! fuͤr alles Gute! Gott lohn Sie, ſprach ſie ſehr leiſe — fuͤr alles, fuͤr alles — ſie ſprach noch ſchwaͤcher, ſtam- melte, ſchwieg, blickte ſehr ſchnell auf, ſah Gretchen, ſah den Prediger an, hob ihr Haupt, fiel zuruͤck, ſchloß ihre Augen und (Gott mein Ende ſey wie ihr Ende!) ſtarb — —
So war die Ahndung der Seligen er- fuͤllt, daß ſie des Morgens ſterben wuͤrde. Der Tag, der letzte Tag fuͤr Minen unter der Sonne, gieng ſchoͤn auf, und blieb, wie er anfieng. Gretchen war außer ſich! Sie war nicht von der Seligen zu bringen! O! der letzte Tropfen Todesſchweiß, ſchrie ſie, wie er da ſtarr ſteht, und der Prediger — Gott hat abgewaſchen die Thraͤnen von ihren Au-
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nach dem dunkeln Morgen noch einige Tage;
allein es waren nur noch wenige Tropfen im
Kelch! — Sie klagte wenig uͤber Schmerzen,
was ich dulde, duld’ ich Gott. Kopfweh, Bruſt-
ſchmerz und ein ſchleichendes Fieber, waren
die Zerſtoͤrer ihres Lebens. —
An einem ſehr ſchoͤnen Morgen kam der
Prediger zu ihr. Gretchen war ſchon da. Sie
nahm den Prediger und Gretchen bey der
Hand. Dank! Dank! fuͤr alles Gute! Gott
lohn Sie, ſprach ſie ſehr leiſe — fuͤr alles,
fuͤr alles — ſie ſprach noch ſchwaͤcher, ſtam-
melte, ſchwieg, blickte ſehr ſchnell auf, ſah
Gretchen, ſah den Prediger an, hob ihr
Haupt, fiel zuruͤck, ſchloß ihre Augen und
(Gott mein Ende ſey wie ihr Ende!) ſtarb — —
So war die Ahndung der Seligen er-
fuͤllt, daß ſie des Morgens ſterben wuͤrde.
Der Tag, der letzte Tag fuͤr Minen unter der
Sonne, gieng ſchoͤn auf, und blieb, wie er
anfieng. Gretchen war außer ſich! Sie war
nicht von der Seligen zu bringen! O! der
letzte Tropfen Todesſchweiß, ſchrie ſie, wie
er da ſtarr ſteht, und der Prediger — Gott
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/525>, abgerufen am 22.11.2024.
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