Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

gesehnt habe, dich noch zu sehen, weiß Gott
der Herr! Der Arzt widerrieth es, und der
liebe Prediger auch. Gottes heiliger Will ist
geschehen. Ich hatte mich schon ziemlich er-
hohlt -- nicht zum Leben -- nein, dich zu
sehen, und diese Hofnung, eben diese, diese
Hofnung, frischte mich zusehens auf. -- Got-
tes Gedanken sind nicht unsre Gedanken, seine
Wege nicht unsre. Bald hätt' ich dir wieder
erzählt, was du schon weißt -- mein Kopf
ist schwach, sehr schwach. -- Daß es keine
Sünd' ist dich zu lieben, kann ich am besten
jetzt entscheiden -- jetzt, wo über das ganze
Leben entschieden wird. Es entgeht mir nicht
das mindeste von allem! allem! allem! was
ich von Jugend an gedacht und gethan! --
über alles hält das Gewissen Gericht! -- Ver-
zeihe mir, Herr, alle meine Fehler, dein harret
meine Seele! meine müde Seele. Du allein,
Herr! schenkst den Beladenen Ruhe, Seelen-
ruhe. Dein Joch ist sanft, deine Last ist leicht,
schon hier sanft und leicht; allein noch mehr
sanft und leicht, wenn man auf die Zukunft
sieht. Vor Gott ist kein Lebendiger gerecht;
allein glaub mir, mein Lieber! ich bin ruhig --
und ich bin der festen, festen Zuversicht, daß,
der hier in mir angefangen hat das gute Werk,

es
Zweiter Th. L l

geſehnt habe, dich noch zu ſehen, weiß Gott
der Herr! Der Arzt widerrieth es, und der
liebe Prediger auch. Gottes heiliger Will iſt
geſchehen. Ich hatte mich ſchon ziemlich er-
hohlt — nicht zum Leben — nein, dich zu
ſehen, und dieſe Hofnung, eben dieſe, dieſe
Hofnung, friſchte mich zuſehens auf. — Got-
tes Gedanken ſind nicht unſre Gedanken, ſeine
Wege nicht unſre. Bald haͤtt’ ich dir wieder
erzaͤhlt, was du ſchon weißt — mein Kopf
iſt ſchwach, ſehr ſchwach. — Daß es keine
Suͤnd’ iſt dich zu lieben, kann ich am beſten
jetzt entſcheiden — jetzt, wo uͤber das ganze
Leben entſchieden wird. Es entgeht mir nicht
das mindeſte von allem! allem! allem! was
ich von Jugend an gedacht und gethan! —
uͤber alles haͤlt das Gewiſſen Gericht! — Ver-
zeihe mir, Herr, alle meine Fehler, dein harret
meine Seele! meine muͤde Seele. Du allein,
Herr! ſchenkſt den Beladenen Ruhe, Seelen-
ruhe. Dein Joch iſt ſanft, deine Laſt iſt leicht,
ſchon hier ſanft und leicht; allein noch mehr
ſanft und leicht, wenn man auf die Zukunft
ſieht. Vor Gott iſt kein Lebendiger gerecht;
allein glaub mir, mein Lieber! ich bin ruhig —
und ich bin der feſten, feſten Zuverſicht, daß,
der hier in mir angefangen hat das gute Werk,

es
Zweiter Th. L l
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0541" n="529"/>
ge&#x017F;ehnt habe, dich noch zu &#x017F;ehen, weiß Gott<lb/>
der Herr! Der Arzt widerrieth es, und der<lb/>
liebe Prediger auch. Gottes heiliger Will i&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;chehen. Ich hatte mich &#x017F;chon ziemlich er-<lb/>
hohlt &#x2014; nicht zum Leben &#x2014; nein, dich zu<lb/>
&#x017F;ehen, und die&#x017F;e Hofnung, eben die&#x017F;e, die&#x017F;e<lb/>
Hofnung, fri&#x017F;chte mich zu&#x017F;ehens auf. &#x2014; Got-<lb/>
tes Gedanken &#x017F;ind nicht un&#x017F;re Gedanken, &#x017F;eine<lb/>
Wege nicht un&#x017F;re. Bald ha&#x0364;tt&#x2019; ich dir wieder<lb/>
erza&#x0364;hlt, was du &#x017F;chon weißt &#x2014; mein Kopf<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwach, &#x017F;ehr &#x017F;chwach. &#x2014; Daß es keine<lb/>
Su&#x0364;nd&#x2019; i&#x017F;t dich zu lieben, kann ich am be&#x017F;ten<lb/>
jetzt ent&#x017F;cheiden &#x2014; jetzt, wo u&#x0364;ber das ganze<lb/>
Leben ent&#x017F;chieden wird. Es entgeht mir nicht<lb/>
das minde&#x017F;te von allem! allem! allem! was<lb/>
ich von Jugend an gedacht und gethan! &#x2014;<lb/>
u&#x0364;ber alles ha&#x0364;lt das Gewi&#x017F;&#x017F;en Gericht! &#x2014; Ver-<lb/>
zeihe mir, Herr, alle meine Fehler, dein harret<lb/>
meine Seele! meine mu&#x0364;de Seele. Du allein,<lb/>
Herr! &#x017F;chenk&#x017F;t den Beladenen Ruhe, Seelen-<lb/>
ruhe. Dein Joch i&#x017F;t &#x017F;anft, deine La&#x017F;t i&#x017F;t leicht,<lb/>
&#x017F;chon hier &#x017F;anft und leicht; allein noch mehr<lb/>
&#x017F;anft und leicht, wenn man auf die Zukunft<lb/>
&#x017F;ieht. Vor Gott i&#x017F;t kein Lebendiger gerecht;<lb/>
allein glaub mir, mein Lieber! ich bin ruhig &#x2014;<lb/>
und ich bin der fe&#x017F;ten, fe&#x017F;ten Zuver&#x017F;icht, daß,<lb/>
der hier in mir angefangen hat das gute Werk,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweiter Th.</hi> L l</fw><fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[529/0541] geſehnt habe, dich noch zu ſehen, weiß Gott der Herr! Der Arzt widerrieth es, und der liebe Prediger auch. Gottes heiliger Will iſt geſchehen. Ich hatte mich ſchon ziemlich er- hohlt — nicht zum Leben — nein, dich zu ſehen, und dieſe Hofnung, eben dieſe, dieſe Hofnung, friſchte mich zuſehens auf. — Got- tes Gedanken ſind nicht unſre Gedanken, ſeine Wege nicht unſre. Bald haͤtt’ ich dir wieder erzaͤhlt, was du ſchon weißt — mein Kopf iſt ſchwach, ſehr ſchwach. — Daß es keine Suͤnd’ iſt dich zu lieben, kann ich am beſten jetzt entſcheiden — jetzt, wo uͤber das ganze Leben entſchieden wird. Es entgeht mir nicht das mindeſte von allem! allem! allem! was ich von Jugend an gedacht und gethan! — uͤber alles haͤlt das Gewiſſen Gericht! — Ver- zeihe mir, Herr, alle meine Fehler, dein harret meine Seele! meine muͤde Seele. Du allein, Herr! ſchenkſt den Beladenen Ruhe, Seelen- ruhe. Dein Joch iſt ſanft, deine Laſt iſt leicht, ſchon hier ſanft und leicht; allein noch mehr ſanft und leicht, wenn man auf die Zukunft ſieht. Vor Gott iſt kein Lebendiger gerecht; allein glaub mir, mein Lieber! ich bin ruhig — und ich bin der feſten, feſten Zuverſicht, daß, der hier in mir angefangen hat das gute Werk, es Zweiter Th. L l

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/541
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/541>, abgerufen am 21.11.2024.