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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Schürze von Feigenblättern gemacht. Der
Herr v. W. brachte sich, wenn er zum Herrn
v. G. kam, seine seidne Vorhänge mit. Ohn-
fehlbar wird wohl die Farbe der Vorhänge
nach Beschaffenheit des Festes gewesen seyn.
Mit Zuverläßigkeit weiß ich's nicht. -- Da
ich den Herrn Candidaten versicherte, daß ich
in diesem Bette schon eine Nacht schlaflos zu-
gebracht und den Tribut bezahlt hätte: so
bat er sich, wenn es ohne mir etwas zu ent-
ziehen geschehen könnte, ein Kopfküssen von
den Meinigen aus. Das war eine neue Ver-
legenheit für mich wegen des lezten Willens,
den ich seinem Aug' entziehen wolte. Er
stand an meinem Bette und wolt' aus Be-
scheidenheit und Dankbarkeit das Küßen selbst
nehmen: ich hatte viele Kunst nöthig, ihm
das unterste in die Hand zu spielen. Kaum
war er im Bette, so schlief er, wovon er
durch sein Schnarchen untrügliche Beweise
gab. Ich widmete Minchen diese Nacht,
und wenn ich schlummerte, sah ich den Ju-
denjungen und das Finkennest und den Milch-
topf, alles in Lebensgröße. -- Gegen den
Morgen schlief ich fester ein; indessen sagt'
ich dem Herrn Candidaten den ersten guten
Morgen, weil ich ihn aufwachen hörte, und

fuhr
D 2

Schuͤrze von Feigenblaͤttern gemacht. Der
Herr v. W. brachte ſich, wenn er zum Herrn
v. G. kam, ſeine ſeidne Vorhaͤnge mit. Ohn-
fehlbar wird wohl die Farbe der Vorhaͤnge
nach Beſchaffenheit des Feſtes geweſen ſeyn.
Mit Zuverlaͤßigkeit weiß ich’s nicht. — Da
ich den Herrn Candidaten verſicherte, daß ich
in dieſem Bette ſchon eine Nacht ſchlaflos zu-
gebracht und den Tribut bezahlt haͤtte: ſo
bat er ſich, wenn es ohne mir etwas zu ent-
ziehen geſchehen koͤnnte, ein Kopfkuͤſſen von
den Meinigen aus. Das war eine neue Ver-
legenheit fuͤr mich wegen des lezten Willens,
den ich ſeinem Aug’ entziehen wolte. Er
ſtand an meinem Bette und wolt’ aus Be-
ſcheidenheit und Dankbarkeit das Kuͤßen ſelbſt
nehmen: ich hatte viele Kunſt noͤthig, ihm
das unterſte in die Hand zu ſpielen. Kaum
war er im Bette, ſo ſchlief er, wovon er
durch ſein Schnarchen untruͤgliche Beweiſe
gab. Ich widmete Minchen dieſe Nacht,
und wenn ich ſchlummerte, ſah ich den Ju-
denjungen und das Finkenneſt und den Milch-
topf, alles in Lebensgroͤße. — Gegen den
Morgen ſchlief ich feſter ein; indeſſen ſagt’
ich dem Herrn Candidaten den erſten guten
Morgen, weil ich ihn aufwachen hoͤrte, und

fuhr
D 2
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[51/0057] Schuͤrze von Feigenblaͤttern gemacht. Der Herr v. W. brachte ſich, wenn er zum Herrn v. G. kam, ſeine ſeidne Vorhaͤnge mit. Ohn- fehlbar wird wohl die Farbe der Vorhaͤnge nach Beſchaffenheit des Feſtes geweſen ſeyn. Mit Zuverlaͤßigkeit weiß ich’s nicht. — Da ich den Herrn Candidaten verſicherte, daß ich in dieſem Bette ſchon eine Nacht ſchlaflos zu- gebracht und den Tribut bezahlt haͤtte: ſo bat er ſich, wenn es ohne mir etwas zu ent- ziehen geſchehen koͤnnte, ein Kopfkuͤſſen von den Meinigen aus. Das war eine neue Ver- legenheit fuͤr mich wegen des lezten Willens, den ich ſeinem Aug’ entziehen wolte. Er ſtand an meinem Bette und wolt’ aus Be- ſcheidenheit und Dankbarkeit das Kuͤßen ſelbſt nehmen: ich hatte viele Kunſt noͤthig, ihm das unterſte in die Hand zu ſpielen. Kaum war er im Bette, ſo ſchlief er, wovon er durch ſein Schnarchen untruͤgliche Beweiſe gab. Ich widmete Minchen dieſe Nacht, und wenn ich ſchlummerte, ſah ich den Ju- denjungen und das Finkenneſt und den Milch- topf, alles in Lebensgroͤße. — Gegen den Morgen ſchlief ich feſter ein; indeſſen ſagt’ ich dem Herrn Candidaten den erſten guten Morgen, weil ich ihn aufwachen hoͤrte, und fuhr D 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/57>, abgerufen am 23.11.2024.