Seele? Wer eine Seele sehen wollte, sah' ihr ins Aug'. Da hatte sie sich eiquartiert. Wen sie damit ansah, hatte Gottes Bild gesehen, und ein Strahl von diesem Bilde ließ so viel Ehrfurcht zurück, daß man Annen liebt und ehrte. Ihr Aug war die Sonn' am Himmel! Man dankte Gott, daß er so schöne Menschen auf seiner Welt gemacht -- und wär' es er- laubt, daß ein Engel, wenn er auf Gottes Extrapost fährt, und der Erdenluft wegen ein Menschengewand angezogen hat, wär' es er- laubt, daß ein Engel ohne Gottes Trauschein sich verheyrathen könnte: er nähme sie! -- Sie wäre Fleisch von seinem Fleisch! Geist von seinem Geist! -- O ihr Jungfrauen, hört was sich mit Annen zutrug und mit dem Edel- mann, der stets einen Fuchs ritt. Er stelte sich, als liebt' er sie; allein er liebte sie nicht, denn die Liebe macht tugendhaft, wenn man einen Engel wie Annen liebt! Er liebte sie, doch war seine Liebe Leckerey! -- Der Bösewicht meynte nicht sie, sondern sich. -- Hast du ihr nicht ins Aug gesehen? -- und recht ins Gesicht? oder fürchtest du dich nicht für Gott und für den Himmel! Bösewicht! für was fürchtest du dich denn? Sie waren beyde schön! -- schön! allein welch ein Unterschied in der
Schön-
Seele? Wer eine Seele ſehen wollte, ſah’ ihr ins Aug’. Da hatte ſie ſich eiquartiert. Wen ſie damit anſah, hatte Gottes Bild geſehen, und ein Strahl von dieſem Bilde ließ ſo viel Ehrfurcht zuruͤck, daß man Annen liebt und ehrte. Ihr Aug war die Sonn’ am Himmel! Man dankte Gott, daß er ſo ſchoͤne Menſchen auf ſeiner Welt gemacht — und waͤr’ es er- laubt, daß ein Engel, wenn er auf Gottes Extrapoſt faͤhrt, und der Erdenluft wegen ein Menſchengewand angezogen hat, waͤr’ es er- laubt, daß ein Engel ohne Gottes Trauſchein ſich verheyrathen koͤnnte: er naͤhme ſie! — Sie waͤre Fleiſch von ſeinem Fleiſch! Geiſt von ſeinem Geiſt! — O ihr Jungfrauen, hoͤrt was ſich mit Annen zutrug und mit dem Edel- mann, der ſtets einen Fuchs ritt. Er ſtelte ſich, als liebt’ er ſie; allein er liebte ſie nicht, denn die Liebe macht tugendhaft, wenn man einen Engel wie Annen liebt! Er liebte ſie, doch war ſeine Liebe Leckerey! — Der Boͤſewicht meynte nicht ſie, ſondern ſich. — Haſt du ihr nicht ins Aug geſehen? — und recht ins Geſicht? oder fuͤrchteſt du dich nicht fuͤr Gott und fuͤr den Himmel! Boͤſewicht! fuͤr was fuͤrchteſt du dich denn? Sie waren beyde ſchoͤn! — ſchoͤn! allein welch ein Unterſchied in der
Schoͤn-
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Seele? Wer eine Seele ſehen wollte, ſah’ ihr
ins Aug’. Da hatte ſie ſich eiquartiert. Wen
ſie damit anſah, hatte Gottes Bild geſehen,
und ein Strahl von dieſem Bilde ließ ſo viel
Ehrfurcht zuruͤck, daß man Annen liebt und
ehrte. Ihr Aug war die Sonn’ am Himmel!
Man dankte Gott, daß er ſo ſchoͤne Menſchen
auf ſeiner Welt gemacht — und waͤr’ es er-
laubt, daß ein Engel, wenn er auf Gottes
Extrapoſt faͤhrt, und der Erdenluft wegen ein
Menſchengewand angezogen hat, waͤr’ es er-
laubt, daß ein Engel ohne Gottes Trauſchein
ſich verheyrathen koͤnnte: er naͤhme ſie! —
Sie waͤre Fleiſch von ſeinem Fleiſch! Geiſt
von ſeinem Geiſt! — O ihr Jungfrauen, hoͤrt
was ſich mit Annen zutrug und mit dem Edel-
mann, der ſtets einen Fuchs ritt. Er ſtelte ſich,
als liebt’ er ſie; allein er liebte ſie nicht, denn
die Liebe macht tugendhaft, wenn man einen
Engel wie Annen liebt! Er liebte ſie, doch war
ſeine Liebe Leckerey! — Der Boͤſewicht meynte
nicht ſie, ſondern ſich. — Haſt du ihr nicht
ins Aug geſehen? — und recht ins Geſicht?
oder fuͤrchteſt du dich nicht fuͤr Gott und fuͤr
den Himmel! Boͤſewicht! fuͤr was fuͤrchteſt
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ſchoͤn! allein welch ein Unterſchied in der
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/619>, abgerufen am 24.11.2024.
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