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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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lichen Frage -- recht ins Gesicht? Du hät-
test den Bösewicht entdeckt in Lebensgröße. Er
rafte sich bald zusammen. Ernst, sprach er,
Ehe! Wie, sagte die Tochter, da der Bösewicht
diesen Abend das Hauß der Unschuld verließ,
wie wär' es anders zu denken? Die Mutter
ward ruhig nach diesem Abend. Mehr hatte
dem Edelmann nicht gefehlt, seiner Gottlosig-
keit vollen Lauf zu lassen, und die Unschuld zu
vergiften, als diese Ruhe der Mutter -- --
O Ihr Jungfrauen! weint um eure Schwe-
ster, die durch einen Bösewicht von der stren-
gen Bahn der Unschuld und Tugend verführt
ward. Nur Mutter und Tochter und drey aus
ihrer Verwandschaft wußten ihren Fall! Der
Tod entriß ihn dem Ottergift der Stadtlippen.
Ihre Mutter rang die Hände. Anne konnte sie
nicht ringen -- der Tod war ihr Leben! --
Sie konnte, sie wolte nichts weiter, als ster-
ben. Kniend bat sie ihre Mutter, für sie zu
beten. Ja! Tochter! ich will für dich beten!
Ich will beten, daß dich Gott beruhige. --
Nein, Mutter, daß ich sterbe, daß ich sterbe,
daß ich sterbe, alles andre Gebet wiederruf'
ich -- der Tod, das ist mein Alles. --

Anne sprach dies gelaßner, als ich, so
gelassen, daß man wohl sahe, der Tod sey

ihr
Zweiter Th. Q q

lichen Frage — recht ins Geſicht? Du haͤt-
teſt den Boͤſewicht entdeckt in Lebensgroͤße. Er
rafte ſich bald zuſammen. Ernſt, ſprach er,
Ehe! Wie, ſagte die Tochter, da der Boͤſewicht
dieſen Abend das Hauß der Unſchuld verließ,
wie waͤr’ es anders zu denken? Die Mutter
ward ruhig nach dieſem Abend. Mehr hatte
dem Edelmann nicht gefehlt, ſeiner Gottloſig-
keit vollen Lauf zu laſſen, und die Unſchuld zu
vergiften, als dieſe Ruhe der Mutter — —
O Ihr Jungfrauen! weint um eure Schwe-
ſter, die durch einen Boͤſewicht von der ſtren-
gen Bahn der Unſchuld und Tugend verfuͤhrt
ward. Nur Mutter und Tochter und drey aus
ihrer Verwandſchaft wußten ihren Fall! Der
Tod entriß ihn dem Ottergift der Stadtlippen.
Ihre Mutter rang die Haͤnde. Anne konnte ſie
nicht ringen — der Tod war ihr Leben! —
Sie konnte, ſie wolte nichts weiter, als ſter-
ben. Kniend bat ſie ihre Mutter, fuͤr ſie zu
beten. Ja! Tochter! ich will fuͤr dich beten!
Ich will beten, daß dich Gott beruhige. —
Nein, Mutter, daß ich ſterbe, daß ich ſterbe,
daß ich ſterbe, alles andre Gebet wiederruf’
ich — der Tod, das iſt mein Alles. —

Anne ſprach dies gelaßner, als ich, ſo
gelaſſen, daß man wohl ſahe, der Tod ſey

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[609/0621] lichen Frage — recht ins Geſicht? Du haͤt- teſt den Boͤſewicht entdeckt in Lebensgroͤße. Er rafte ſich bald zuſammen. Ernſt, ſprach er, Ehe! Wie, ſagte die Tochter, da der Boͤſewicht dieſen Abend das Hauß der Unſchuld verließ, wie waͤr’ es anders zu denken? Die Mutter ward ruhig nach dieſem Abend. Mehr hatte dem Edelmann nicht gefehlt, ſeiner Gottloſig- keit vollen Lauf zu laſſen, und die Unſchuld zu vergiften, als dieſe Ruhe der Mutter — — O Ihr Jungfrauen! weint um eure Schwe- ſter, die durch einen Boͤſewicht von der ſtren- gen Bahn der Unſchuld und Tugend verfuͤhrt ward. Nur Mutter und Tochter und drey aus ihrer Verwandſchaft wußten ihren Fall! Der Tod entriß ihn dem Ottergift der Stadtlippen. Ihre Mutter rang die Haͤnde. Anne konnte ſie nicht ringen — der Tod war ihr Leben! — Sie konnte, ſie wolte nichts weiter, als ſter- ben. Kniend bat ſie ihre Mutter, fuͤr ſie zu beten. Ja! Tochter! ich will fuͤr dich beten! Ich will beten, daß dich Gott beruhige. — Nein, Mutter, daß ich ſterbe, daß ich ſterbe, daß ich ſterbe, alles andre Gebet wiederruf’ ich — der Tod, das iſt mein Alles. — Anne ſprach dies gelaßner, als ich, ſo gelaſſen, daß man wohl ſahe, der Tod ſey ihr Zweiter Th. Q q

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/621>, abgerufen am 24.11.2024.