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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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ohne daß mir der Angsischweiß ausbricht;
denn ich weiß, was es mir gekostet hat.
Wenn man nur bedenkt, was der liebe Gott
erst mit dem Brod für Wege geht, eh' es
Brod wird. Wer kann es ohne Sorgen essen?
Und mit dem Hemd' eh es ein Hemd wird!
Wer kann es ohne Seufzer anziehen? Gott
weiß wie es kommt, man sorgt am liebsten
am Tisch, und sieht auf die Erde, obgleich
man dankvoll gen Himmel sehen sollte. --
Man sieht all' um sich herum, die Nahrung
und Kleider haben wollen, und das bringt
uns in einen Gedankenwald -- oder man
glaubt vielleicht, sich das Sorgen leichter zu
machen, wenn man bei Tische sorgt; allein
man macht es sich schwerer, denn man wird
dadurch unthätig, und anstatt, daß man
die verlorne Kräfte ersetzen solte, verliert
man ihrer noch mehr. -- Es ist so, wie ein
unruhiger Schlaf, der mehr schadet als nü-
tzet, man ist nach ihm noch schläfriger. --
Wenn man einmal ins Sorgen hinein kommt;
findet man sich bald nicht heraus. Mein
College in B --, der in seiner Jugend Bal-
bier gewesen, ist bis zur Verzweiflung be-
trübt, daß er nicht so viel Bücher hat, als
sein Pfarrer! Und ich sag' oft und viel zu

mei-

ohne daß mir der Angſiſchweiß ausbricht;
denn ich weiß, was es mir gekoſtet hat.
Wenn man nur bedenkt, was der liebe Gott
erſt mit dem Brod fuͤr Wege geht, eh’ es
Brod wird. Wer kann es ohne Sorgen eſſen?
Und mit dem Hemd’ eh es ein Hemd wird!
Wer kann es ohne Seufzer anziehen? Gott
weiß wie es kommt, man ſorgt am liebſten
am Tiſch, und ſieht auf die Erde, obgleich
man dankvoll gen Himmel ſehen ſollte. —
Man ſieht all’ um ſich herum, die Nahrung
und Kleider haben wollen, und das bringt
uns in einen Gedankenwald — oder man
glaubt vielleicht, ſich das Sorgen leichter zu
machen, wenn man bei Tiſche ſorgt; allein
man macht es ſich ſchwerer, denn man wird
dadurch unthaͤtig, und anſtatt, daß man
die verlorne Kraͤfte erſetzen ſolte, verliert
man ihrer noch mehr. — Es iſt ſo, wie ein
unruhiger Schlaf, der mehr ſchadet als nuͤ-
tzet, man iſt nach ihm noch ſchlaͤfriger. —
Wenn man einmal ins Sorgen hinein kommt;
findet man ſich bald nicht heraus. Mein
College in B —, der in ſeiner Jugend Bal-
bier geweſen, iſt bis zur Verzweiflung be-
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[650/0664] ohne daß mir der Angſiſchweiß ausbricht; denn ich weiß, was es mir gekoſtet hat. Wenn man nur bedenkt, was der liebe Gott erſt mit dem Brod fuͤr Wege geht, eh’ es Brod wird. Wer kann es ohne Sorgen eſſen? Und mit dem Hemd’ eh es ein Hemd wird! Wer kann es ohne Seufzer anziehen? Gott weiß wie es kommt, man ſorgt am liebſten am Tiſch, und ſieht auf die Erde, obgleich man dankvoll gen Himmel ſehen ſollte. — Man ſieht all’ um ſich herum, die Nahrung und Kleider haben wollen, und das bringt uns in einen Gedankenwald — oder man glaubt vielleicht, ſich das Sorgen leichter zu machen, wenn man bei Tiſche ſorgt; allein man macht es ſich ſchwerer, denn man wird dadurch unthaͤtig, und anſtatt, daß man die verlorne Kraͤfte erſetzen ſolte, verliert man ihrer noch mehr. — Es iſt ſo, wie ein unruhiger Schlaf, der mehr ſchadet als nuͤ- tzet, man iſt nach ihm noch ſchlaͤfriger. — Wenn man einmal ins Sorgen hinein kommt; findet man ſich bald nicht heraus. Mein College in B —, der in ſeiner Jugend Bal- bier geweſen, iſt bis zur Verzweiflung be- truͤbt, daß er nicht ſo viel Buͤcher hat, als ſein Pfarrer! Und ich ſag’ oft und viel zu mei-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/664>, abgerufen am 21.11.2024.