tens Herz hatte nicht seines Gleichen. Sie frug nicht, ehe sie Mitleiden zeigt', ob der Unglückliche Schuld an seinem Unglück wäre? Oft dacht' ich, wenn sie weinte mit den Weinenden, und wenn es ihr genug war, Elend zu sehen, um bewegt zu werden: Sie läßt, wie Gott der Herr, regnen über Ge- recht' und Ungerechte! -- Diese edle Den- kungsart vermochte vielleicht den gnädigen Herrn, durch sein Geschenk die gute Sache mit Charlotten ins Reine zu bringen. Der Hut, sagt' er zu mir, ist mir zu groß. Das Land ist mir zu klein! Es ist beydes sein. -- Weg war ich, ja wohl weg. --
Unser Bekannte verdarb sein Herz von Tage zu Tage. Je mehr Charlott' ihm sagte, daß ihm der Hut schlecht stünde, (sie sah da- bey auf sein Herz; er war sonst ein schöner Mann,) je gleichgültiger ward er gegen sie. Er hatt' an jedem Finger eine Schöne, die sich in dem blanken Hute spiegelt', um sich nach Maasgabe desselben das Tuch und den Halß zurecht zog, bis endlich Luise ihn zur heiligen Ehe bestimmte. Sein Hut war ab- getragen und Luise war reich. Diese Luise ist das unglückliche Weib, das nach dem un- glückseligen Schuß mehr aus Gram über den
Gram
tens Herz hatte nicht ſeines Gleichen. Sie frug nicht, ehe ſie Mitleiden zeigt’, ob der Ungluͤckliche Schuld an ſeinem Ungluͤck waͤre? Oft dacht’ ich, wenn ſie weinte mit den Weinenden, und wenn es ihr genug war, Elend zu ſehen, um bewegt zu werden: Sie laͤßt, wie Gott der Herr, regnen uͤber Ge- recht’ und Ungerechte! — Dieſe edle Den- kungsart vermochte vielleicht den gnaͤdigen Herrn, durch ſein Geſchenk die gute Sache mit Charlotten ins Reine zu bringen. Der Hut, ſagt’ er zu mir, iſt mir zu groß. Das Land iſt mir zu klein! Es iſt beydes ſein. — Weg war ich, ja wohl weg. —
Unſer Bekannte verdarb ſein Herz von Tage zu Tage. Je mehr Charlott’ ihm ſagte, daß ihm der Hut ſchlecht ſtuͤnde, (ſie ſah da- bey auf ſein Herz; er war ſonſt ein ſchoͤner Mann,) je gleichguͤltiger ward er gegen ſie. Er hatt’ an jedem Finger eine Schoͤne, die ſich in dem blanken Hute ſpiegelt’, um ſich nach Maasgabe deſſelben das Tuch und den Halß zurecht zog, bis endlich Luiſe ihn zur heiligen Ehe beſtimmte. Sein Hut war ab- getragen und Luiſe war reich. Dieſe Luiſe iſt das ungluͤckliche Weib, das nach dem un- gluͤckſeligen Schuß mehr aus Gram uͤber den
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tens Herz hatte nicht ſeines Gleichen. Sie
frug nicht, ehe ſie Mitleiden zeigt’, ob der
Ungluͤckliche Schuld an ſeinem Ungluͤck waͤre?
Oft dacht’ ich, wenn ſie weinte mit den
Weinenden, und wenn es ihr genug war,
Elend zu ſehen, um bewegt zu werden: Sie
laͤßt, wie Gott der Herr, regnen uͤber Ge-
recht’ und Ungerechte! — Dieſe edle Den-
kungsart vermochte vielleicht den gnaͤdigen
Herrn, durch ſein Geſchenk die gute Sache
mit Charlotten ins Reine zu bringen. Der
Hut, ſagt’ er zu mir, iſt mir zu groß.
Das Land iſt mir zu klein! Es iſt beydes
ſein. — Weg war ich, ja wohl weg. —
Unſer Bekannte verdarb ſein Herz von
Tage zu Tage. Je mehr Charlott’ ihm ſagte,
daß ihm der Hut ſchlecht ſtuͤnde, (ſie ſah da-
bey auf ſein Herz; er war ſonſt ein ſchoͤner
Mann,) je gleichguͤltiger ward er gegen ſie.
Er hatt’ an jedem Finger eine Schoͤne, die
ſich in dem blanken Hute ſpiegelt’, um ſich
nach Maasgabe deſſelben das Tuch und den
Halß zurecht zog, bis endlich Luiſe ihn zur
heiligen Ehe beſtimmte. Sein Hut war ab-
getragen und Luiſe war reich. Dieſe Luiſe
iſt das ungluͤckliche Weib, das nach dem un-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/97>, abgerufen am 23.11.2024.
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