sinn heißt: ich habe Lust abzuscheiden. -- Gern wolt' ich bey Minen seyn und solt' ich nicht wollen? Nach des Grafen Meynung nicht. In dieser Aussicht sterben heißt: sich den Tod verderben, ihn mit allem Fleiß ver- unstalten, ihm den gesunden natürlichen Ge- schmack nehmen, Englisch Gewürz, Galgant, Pfeffer, Kreydnelken dran legen. Man muß sterben, um zu sterben. Der Graf hatte hierüber mit dem Prediger eine sehr gelehrte Unterredung. Ich vernahm die Worte nicht; allein der Geist von allem würkte auf mich. Mein Vater pflegte dies Würken, Wanken zu heissen, wie man von Gespenstern sagt: sie wanken. Ich wankte. Es war mir, als hört' ich in der Ferne läuten. Der Hauptin- halt der gelehrten Unterredung war: ob man nicht auch durch künstliche Mittel berechtiget wäre, sich den Tod zu erleichtern? Der Graf behauptete Nein, und nannte diese Kunst Be- trug, wenn sie wollen, frommen Betrug. Ich will aber nicht fromm betrogen werden.
Es sey nun aber wie ihm wolle. Mine war mein Schutzengel bey meinem Seelen- zufall. Sie stärkte mich. Ich hohlte alles nach, was ich bey ihrem Grabe durch Betäu- bung übersprungen hatte. O wie gern wolt'
ich
ſinn heißt: ich habe Luſt abzuſcheiden. — Gern wolt’ ich bey Minen ſeyn und ſolt’ ich nicht wollen? Nach des Grafen Meynung nicht. In dieſer Ausſicht ſterben heißt: ſich den Tod verderben, ihn mit allem Fleiß ver- unſtalten, ihm den geſunden natuͤrlichen Ge- ſchmack nehmen, Engliſch Gewuͤrz, Galgant, Pfeffer, Kreydnelken dran legen. Man muß ſterben, um zu ſterben. Der Graf hatte hieruͤber mit dem Prediger eine ſehr gelehrte Unterredung. Ich vernahm die Worte nicht; allein der Geiſt von allem wuͤrkte auf mich. Mein Vater pflegte dies Wuͤrken, Wanken zu heiſſen, wie man von Geſpenſtern ſagt: ſie wanken. Ich wankte. Es war mir, als hoͤrt’ ich in der Ferne laͤuten. Der Hauptin- halt der gelehrten Unterredung war: ob man nicht auch durch kuͤnſtliche Mittel berechtiget waͤre, ſich den Tod zu erleichtern? Der Graf behauptete Nein, und nannte dieſe Kunſt Be- trug, wenn ſie wollen, frommen Betrug. Ich will aber nicht fromm betrogen werden.
Es ſey nun aber wie ihm wolle. Mine war mein Schutzengel bey meinem Seelen- zufall. Sie ſtaͤrkte mich. Ich hohlte alles nach, was ich bey ihrem Grabe durch Betaͤu- bung uͤberſprungen hatte. O wie gern wolt’
ich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0152"n="146"/>ſinn heißt: <hirendition="#fr">ich habe Luſt abzuſcheiden.</hi>—<lb/>
Gern wolt’ ich bey Minen ſeyn und ſolt’ ich<lb/>
nicht <hirendition="#fr">wollen?</hi> Nach des Grafen Meynung<lb/>
nicht. In dieſer Ausſicht ſterben heißt: ſich<lb/>
den Tod verderben, ihn mit allem Fleiß ver-<lb/>
unſtalten, ihm den geſunden natuͤrlichen Ge-<lb/>ſchmack nehmen, Engliſch Gewuͤrz, Galgant,<lb/>
Pfeffer, Kreydnelken dran legen. Man muß<lb/>ſterben, um zu ſterben. Der Graf hatte<lb/>
hieruͤber mit dem Prediger eine ſehr gelehrte<lb/>
Unterredung. Ich vernahm die Worte nicht;<lb/>
allein der Geiſt von allem wuͤrkte auf mich.<lb/>
Mein Vater pflegte dies Wuͤrken, <hirendition="#fr">Wanken</hi><lb/>
zu heiſſen, wie man von Geſpenſtern ſagt: ſie<lb/>
wanken. Ich wankte. Es war mir, als<lb/>
hoͤrt’ ich in der Ferne laͤuten. Der Hauptin-<lb/>
halt der gelehrten Unterredung war: ob man<lb/>
nicht auch durch kuͤnſtliche Mittel berechtiget<lb/>
waͤre, ſich den Tod zu erleichtern? Der Graf<lb/>
behauptete Nein, und nannte dieſe Kunſt Be-<lb/>
trug, wenn ſie wollen, frommen Betrug.<lb/>
Ich will aber nicht fromm betrogen werden.</p><lb/><p>Es ſey nun aber wie ihm wolle. Mine<lb/>
war mein Schutzengel bey meinem Seelen-<lb/>
zufall. Sie ſtaͤrkte mich. Ich hohlte alles<lb/>
nach, was ich bey ihrem Grabe durch Betaͤu-<lb/>
bung uͤberſprungen hatte. O wie gern wolt’<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[146/0152]
ſinn heißt: ich habe Luſt abzuſcheiden. —
Gern wolt’ ich bey Minen ſeyn und ſolt’ ich
nicht wollen? Nach des Grafen Meynung
nicht. In dieſer Ausſicht ſterben heißt: ſich
den Tod verderben, ihn mit allem Fleiß ver-
unſtalten, ihm den geſunden natuͤrlichen Ge-
ſchmack nehmen, Engliſch Gewuͤrz, Galgant,
Pfeffer, Kreydnelken dran legen. Man muß
ſterben, um zu ſterben. Der Graf hatte
hieruͤber mit dem Prediger eine ſehr gelehrte
Unterredung. Ich vernahm die Worte nicht;
allein der Geiſt von allem wuͤrkte auf mich.
Mein Vater pflegte dies Wuͤrken, Wanken
zu heiſſen, wie man von Geſpenſtern ſagt: ſie
wanken. Ich wankte. Es war mir, als
hoͤrt’ ich in der Ferne laͤuten. Der Hauptin-
halt der gelehrten Unterredung war: ob man
nicht auch durch kuͤnſtliche Mittel berechtiget
waͤre, ſich den Tod zu erleichtern? Der Graf
behauptete Nein, und nannte dieſe Kunſt Be-
trug, wenn ſie wollen, frommen Betrug.
Ich will aber nicht fromm betrogen werden.
Es ſey nun aber wie ihm wolle. Mine
war mein Schutzengel bey meinem Seelen-
zufall. Sie ſtaͤrkte mich. Ich hohlte alles
nach, was ich bey ihrem Grabe durch Betaͤu-
bung uͤberſprungen hatte. O wie gern wolt’
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/152>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.