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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Willst du mit Gott rechten, du toll und thö-
richt Volk, das wahrlich nicht an seine Brust
schlagen und sagen kann: mein Gewissen beißt
mich nicht, meines ganzen Lebens halber.
Das Gewissen, wie du selbst wissen wirst,
geht von unten, ungefehr um den Magen her-
um, in die Höhe. Oben hält es sein richter-
liches Amt, unten ist sein Schlafstübchen.
Wenn es aufwacht zum harten Criminalur-
tel, wie brennend sind seine Tritte! Wie glü-
hend Eisen gehts in die Höhe. -- Was
schreyen wir denn? Daß wir nicht dies,
und daß wir nicht jenes haben? Wenn wir
auch das nicht hätten, was wir haben? Wenn
du z. E. nicht Pastors Sohn wärst, und Mi-
ne die Tochter eines Litterati, obgleich über
seine Litteratur noch ein Streit ist. Waren
wir nicht Ton, aus dem der Weltmeister ma-
chen konnte, was er wollte? Warum sollten
wir der Erde noch mehr Dornen und Disteln
auf den Hals wünschen, und ihr fluchen? --
Glaub mir, am Ende hat der Generalsupe-
rintendent und der Herzog, der Präpositus,
der Pastor, der Litteratus, schlecht und recht,
fast möcht' ich sagen der Wacker selbst, nichts
vor dem andern drüber und drunter. Jeder
hat seinen Groschen. Staub ist Staub, er

sitze

Willſt du mit Gott rechten, du toll und thoͤ-
richt Volk, das wahrlich nicht an ſeine Bruſt
ſchlagen und ſagen kann: mein Gewiſſen beißt
mich nicht, meines ganzen Lebens halber.
Das Gewiſſen, wie du ſelbſt wiſſen wirſt,
geht von unten, ungefehr um den Magen her-
um, in die Hoͤhe. Oben haͤlt es ſein richter-
liches Amt, unten iſt ſein Schlafſtuͤbchen.
Wenn es aufwacht zum harten Criminalur-
tel, wie brennend ſind ſeine Tritte! Wie gluͤ-
hend Eiſen gehts in die Hoͤhe. — Was
ſchreyen wir denn? Daß wir nicht dies,
und daß wir nicht jenes haben? Wenn wir
auch das nicht haͤtten, was wir haben? Wenn
du z. E. nicht Paſtors Sohn waͤrſt, und Mi-
ne die Tochter eines Litterati, obgleich uͤber
ſeine Litteratur noch ein Streit iſt. Waren
wir nicht Ton, aus dem der Weltmeiſter ma-
chen konnte, was er wollte? Warum ſollten
wir der Erde noch mehr Dornen und Diſteln
auf den Hals wuͤnſchen, und ihr fluchen? —
Glaub mir, am Ende hat der Generalſupe-
rintendent und der Herzog, der Praͤpoſitus,
der Paſtor, der Litteratus, ſchlecht und recht,
faſt moͤcht’ ich ſagen der Wacker ſelbſt, nichts
vor dem andern druͤber und drunter. Jeder
hat ſeinen Groſchen. Staub iſt Staub, er

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[384/0392] Willſt du mit Gott rechten, du toll und thoͤ- richt Volk, das wahrlich nicht an ſeine Bruſt ſchlagen und ſagen kann: mein Gewiſſen beißt mich nicht, meines ganzen Lebens halber. Das Gewiſſen, wie du ſelbſt wiſſen wirſt, geht von unten, ungefehr um den Magen her- um, in die Hoͤhe. Oben haͤlt es ſein richter- liches Amt, unten iſt ſein Schlafſtuͤbchen. Wenn es aufwacht zum harten Criminalur- tel, wie brennend ſind ſeine Tritte! Wie gluͤ- hend Eiſen gehts in die Hoͤhe. — Was ſchreyen wir denn? Daß wir nicht dies, und daß wir nicht jenes haben? Wenn wir auch das nicht haͤtten, was wir haben? Wenn du z. E. nicht Paſtors Sohn waͤrſt, und Mi- ne die Tochter eines Litterati, obgleich uͤber ſeine Litteratur noch ein Streit iſt. Waren wir nicht Ton, aus dem der Weltmeiſter ma- chen konnte, was er wollte? Warum ſollten wir der Erde noch mehr Dornen und Diſteln auf den Hals wuͤnſchen, und ihr fluchen? — Glaub mir, am Ende hat der Generalſupe- rintendent und der Herzog, der Praͤpoſitus, der Paſtor, der Litteratus, ſchlecht und recht, faſt moͤcht’ ich ſagen der Wacker ſelbſt, nichts vor dem andern druͤber und drunter. Jeder hat ſeinen Groſchen. Staub iſt Staub, er ſitze

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/392>, abgerufen am 22.11.2024.