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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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wenig, als die Feder. Ich will morgen wie-
der eins versuchen. -- Alte, mein Sohn,
müssen aufs Vergangene, Junge aufs Zu-
künftige denken. Wer die Ursachen der ge-
genwärtigen Dinge, und ihre Verbindung
mit den Zukünftigen, übersehen kann, das
ist ein weiser, das ist ein göttlicher Mann.
Der hat Verstand, dem etwas leicht wird,
was andern Menschen schwer ist, der hat
Verdienst, der es seinen Nebenmenschen leicht
machen kann. Ich wünsche dir wohl zu
ruhen!


Mein Gott, nun ist es wieder Morgen!
die Nacht vollendet ihren Lauf;
nun wachen alle meine Sorgen,
die mit mir schlafen giengen, auf!
Die Ruhe, wie der Schlaf, ist hin
ich sehe wieder, wo ich bin --
ich bin noch immer auf der Erde,
wo jeder Tag sein Elend hat,
hier, wo ich immer älter werde,
und häufe Sünd und Missethat.
O Gott, von deßen Brod ich zehr,
wenn ich dir doch auch nütze wär!
Diese

wenig, als die Feder. Ich will morgen wie-
der eins verſuchen. — Alte, mein Sohn,
muͤſſen aufs Vergangene, Junge aufs Zu-
kuͤnftige denken. Wer die Urſachen der ge-
genwaͤrtigen Dinge, und ihre Verbindung
mit den Zukuͤnftigen, uͤberſehen kann, das
iſt ein weiſer, das iſt ein goͤttlicher Mann.
Der hat Verſtand, dem etwas leicht wird,
was andern Menſchen ſchwer iſt, der hat
Verdienſt, der es ſeinen Nebenmenſchen leicht
machen kann. Ich wuͤnſche dir wohl zu
ruhen!


Mein Gott, nun iſt es wieder Morgen!
die Nacht vollendet ihren Lauf;
nun wachen alle meine Sorgen,
die mit mir ſchlafen giengen, auf!
Die Ruhe, wie der Schlaf, iſt hin
ich ſehe wieder, wo ich bin —
ich bin noch immer auf der Erde,
wo jeder Tag ſein Elend hat,
hier, wo ich immer aͤlter werde,
und haͤufe Suͤnd und Miſſethat.
O Gott, von deßen Brod ich zehr,
wenn ich dir doch auch nuͤtze waͤr!
Dieſe
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[394/0402] wenig, als die Feder. Ich will morgen wie- der eins verſuchen. — Alte, mein Sohn, muͤſſen aufs Vergangene, Junge aufs Zu- kuͤnftige denken. Wer die Urſachen der ge- genwaͤrtigen Dinge, und ihre Verbindung mit den Zukuͤnftigen, uͤberſehen kann, das iſt ein weiſer, das iſt ein goͤttlicher Mann. Der hat Verſtand, dem etwas leicht wird, was andern Menſchen ſchwer iſt, der hat Verdienſt, der es ſeinen Nebenmenſchen leicht machen kann. Ich wuͤnſche dir wohl zu ruhen! Mein Gott, nun iſt es wieder Morgen! die Nacht vollendet ihren Lauf; nun wachen alle meine Sorgen, die mit mir ſchlafen giengen, auf! Die Ruhe, wie der Schlaf, iſt hin ich ſehe wieder, wo ich bin — ich bin noch immer auf der Erde, wo jeder Tag ſein Elend hat, hier, wo ich immer aͤlter werde, und haͤufe Suͤnd und Miſſethat. O Gott, von deßen Brod ich zehr, wenn ich dir doch auch nuͤtze waͤr! Dieſe

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/402>, abgerufen am 21.11.2024.