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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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sieht, wie tief der Mensch sinken könne, ob-
gleich er seines gleichen ist. Ein proskunein
dünkt ihn daher wie ein Bruch der Ver-
nunft. -- Er zieht sich vor jedem zurück,
der vor ihm die Knie beugt. Alles aus einer
und der nemlichen Quelle. -- Das Haupt
regiert, und nicht die Füße, sagte der nem-
liche Kayser, da man ihm zu Fuße fiel, der,
da man ihm sein theures Leben landesväter-
lich vor dem Geschütze zu decken anrieth, er-
wiederte: es ist noch kein Kayser erschossen!

Gott der Herr ist überall. Der Himmel,
heißt es zwar, ist sein Stuhl, und die Erde
seiner Füße Schemel; allein das ist Poesie,
und ein Selbstherrscher, ein Monarch, der
im eigentlichen Sinn Gottes Bild trägt, sollte
auch keinen beständigen Aufenthalt haben.
Er, der überall seyn sollte, müste wenigstens
überall zu Hause seyn. Das Hoflager, kann
es denn nicht wandelbar seyn? um die Allge-
genwart zu spielen. Die deutschen Kayser
waren ehemals an keiner Stell und Ort zu
Hause. Die Könige von Pohlen zogen auch
umher, und was ist natürlicher, als daß Re-
sidenzen, Königsstädte, durch den Vorzug,
den ihnen das Schlafzimmer des regierenden

Herrn

ſieht, wie tief der Menſch ſinken koͤnne, ob-
gleich er ſeines gleichen iſt. Ein προσκυνειν
duͤnkt ihn daher wie ein Bruch der Ver-
nunft. — Er zieht ſich vor jedem zuruͤck,
der vor ihm die Knie beugt. Alles aus einer
und der nemlichen Quelle. — Das Haupt
regiert, und nicht die Fuͤße, ſagte der nem-
liche Kayſer, da man ihm zu Fuße fiel, der,
da man ihm ſein theures Leben landesvaͤter-
lich vor dem Geſchuͤtze zu decken anrieth, er-
wiederte: es iſt noch kein Kayſer erſchoſſen!

Gott der Herr iſt uͤberall. Der Himmel,
heißt es zwar, iſt ſein Stuhl, und die Erde
ſeiner Fuͤße Schemel; allein das iſt Poeſie,
und ein Selbſtherrſcher, ein Monarch, der
im eigentlichen Sinn Gottes Bild traͤgt, ſollte
auch keinen beſtaͤndigen Aufenthalt haben.
Er, der uͤberall ſeyn ſollte, muͤſte wenigſtens
uͤberall zu Hauſe ſeyn. Das Hoflager, kann
es denn nicht wandelbar ſeyn? um die Allge-
genwart zu ſpielen. Die deutſchen Kayſer
waren ehemals an keiner Stell und Ort zu
Hauſe. Die Koͤnige von Pohlen zogen auch
umher, und was iſt natuͤrlicher, als daß Re-
ſidenzen, Koͤnigsſtaͤdte, durch den Vorzug,
den ihnen das Schlafzimmer des regierenden

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[436/0444] ſieht, wie tief der Menſch ſinken koͤnne, ob- gleich er ſeines gleichen iſt. Ein προσκυνειν duͤnkt ihn daher wie ein Bruch der Ver- nunft. — Er zieht ſich vor jedem zuruͤck, der vor ihm die Knie beugt. Alles aus einer und der nemlichen Quelle. — Das Haupt regiert, und nicht die Fuͤße, ſagte der nem- liche Kayſer, da man ihm zu Fuße fiel, der, da man ihm ſein theures Leben landesvaͤter- lich vor dem Geſchuͤtze zu decken anrieth, er- wiederte: es iſt noch kein Kayſer erſchoſſen! Gott der Herr iſt uͤberall. Der Himmel, heißt es zwar, iſt ſein Stuhl, und die Erde ſeiner Fuͤße Schemel; allein das iſt Poeſie, und ein Selbſtherrſcher, ein Monarch, der im eigentlichen Sinn Gottes Bild traͤgt, ſollte auch keinen beſtaͤndigen Aufenthalt haben. Er, der uͤberall ſeyn ſollte, muͤſte wenigſtens uͤberall zu Hauſe ſeyn. Das Hoflager, kann es denn nicht wandelbar ſeyn? um die Allge- genwart zu ſpielen. Die deutſchen Kayſer waren ehemals an keiner Stell und Ort zu Hauſe. Die Koͤnige von Pohlen zogen auch umher, und was iſt natuͤrlicher, als daß Re- ſidenzen, Koͤnigsſtaͤdte, durch den Vorzug, den ihnen das Schlafzimmer des regierenden Herrn

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/444>, abgerufen am 21.11.2024.