birte. Dieser Steinwurf ward ihm eigen. Jung gewohnt, alt gethan. Die Gewohn- heit ist die andre Natur, hätt ich bald gesagt; allein in Wahrheit nicht die andre, sondern die erste, die eigentliche, die Natur selbst. Unser Selige studirte Leben- und nicht Schul- weisheit, von der er immer der Nachfrage halber eine Kiste erhandeln können! Freylich, sagt' er, hätt' ich, und es thut mir oft leid, daß ichs nicht habe; allein wenn es mir wieder einfällt, daß all die Raritäten so sehr der Mode unterworfen sind, als es kein Kopfputz meiner Frauen ist, warum solt' ich? -- Wahr- lich! Gelehrsamkeit ist Weiberkopfputz; der erste unter den Gelehrten geht frisirt! -- Pfuy! da ehr mir Gott mein eigen Haar, wenns gleich nicht kraus ist, wie die gute Pa- storin es gerne sieht. Nicht war er in sich selbst verliebt; ist denn das die Natur? Läßt sie nicht die Kunst in ihre geheimsten Zimmer -- Hilft ihr nicht die galante Kunst beym Anziehen, bald hätt' ich gesagt, reicht sie ihr nicht oft das Hemde; allein ist sie darum eine Buhlschwester? Mit nichten.
Alles, was Herr v. G -- aus der zweyten und dritten Hand hatte, war ihm nur in so weit theur und werth, als ein gutes Stück
Natur
birte. Dieſer Steinwurf ward ihm eigen. Jung gewohnt, alt gethan. Die Gewohn- heit iſt die andre Natur, haͤtt ich bald geſagt; allein in Wahrheit nicht die andre, ſondern die erſte, die eigentliche, die Natur ſelbſt. Unſer Selige ſtudirte Leben- und nicht Schul- weisheit, von der er immer der Nachfrage halber eine Kiſte erhandeln koͤnnen! Freylich, ſagt’ er, haͤtt’ ich, und es thut mir oft leid, daß ichs nicht habe; allein wenn es mir wieder einfaͤllt, daß all die Raritaͤten ſo ſehr der Mode unterworfen ſind, als es kein Kopfputz meiner Frauen iſt, warum ſolt’ ich? — Wahr- lich! Gelehrſamkeit iſt Weiberkopfputz; der erſte unter den Gelehrten geht friſirt! — Pfuy! da ehr mir Gott mein eigen Haar, wenns gleich nicht kraus iſt, wie die gute Pa- ſtorin es gerne ſieht. Nicht war er in ſich ſelbſt verliebt; iſt denn das die Natur? Laͤßt ſie nicht die Kunſt in ihre geheimſten Zimmer — Hilft ihr nicht die galante Kunſt beym Anziehen, bald haͤtt’ ich geſagt, reicht ſie ihr nicht oft das Hemde; allein iſt ſie darum eine Buhlſchweſter? Mit nichten.
Alles, was Herr v. G — aus der zweyten und dritten Hand hatte, war ihm nur in ſo weit theur und werth, als ein gutes Stuͤck
Natur
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birte. Dieſer Steinwurf ward ihm eigen.
Jung gewohnt, alt gethan. Die Gewohn-
heit iſt die andre Natur, haͤtt ich bald geſagt;
allein in Wahrheit nicht die andre, ſondern
die erſte, die eigentliche, die Natur ſelbſt.
Unſer Selige ſtudirte Leben- und nicht Schul-
weisheit, von der er immer der Nachfrage
halber eine Kiſte erhandeln koͤnnen! Freylich,
ſagt’ er, haͤtt’ ich, und es thut mir oft leid,
daß ichs nicht habe; allein wenn es mir wieder
einfaͤllt, daß all die Raritaͤten ſo ſehr der
Mode unterworfen ſind, als es kein Kopfputz
meiner Frauen iſt, warum ſolt’ ich? — Wahr-
lich! Gelehrſamkeit iſt Weiberkopfputz; der
erſte unter den Gelehrten geht friſirt! —
Pfuy! da ehr mir Gott mein eigen Haar,
wenns gleich nicht kraus iſt, wie die gute Pa-
ſtorin es gerne ſieht. Nicht war er in ſich
ſelbſt verliebt; iſt denn das die Natur? Laͤßt
ſie nicht die Kunſt in ihre geheimſten Zimmer
— Hilft ihr nicht die galante Kunſt beym
Anziehen, bald haͤtt’ ich geſagt, reicht ſie ihr
nicht oft das Hemde; allein iſt ſie darum eine
Buhlſchweſter? Mit nichten.
Alles, was Herr v. G — aus der zweyten
und dritten Hand hatte, war ihm nur in ſo
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/168>, abgerufen am 26.11.2024.
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