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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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freyheit einführen, können immer Zoll und
Accise höher stellen. Der Geitz, der Samm-
lungstrieb, gehört auf diese Rechnung. Man
ist ein Sclave, um einst frey zu werden. Man
dient als Soldat, um nicht als Bürger zu ge-
horchen. Man ist Ehemann, man ist ein
Sclave, um zu glauben, man sey frey.
Selbst dieser so ausgeartete Trieb führt, oder
könnte uns auf den Punkt führen, den Chri-
stus angab. Er sey bey uns alle Tage bis an
der Welt Ende! zu einer Theokratie, wo jeder
dem andern läßt, was er hat, wo im erha-
bensten Sinn jeder für sich und Gott für uns
alle ist. Wo wir nicht messen und wägen,
wo alles in den Tag hinein lebt -- Diese gül-
dene Zeit, dieses mannbare Weltalter, wenn
wird es kommen? Wenn die leibliche Theo-
kratie, wenn die Geistliche? das Reich der
Gnaden und der Herrlichkeit? Amen! Komm,
du schöne Freudenkrone! singt meine Frau! --

Dies ist das Paradies aus Grundsätzen,
das sich der Mensch selbst bauen kann.

Denkt man sich aber einen verwilderten
Naturmenschen, der gewis in keinem Para-
diese seyn wird, wenn es ihm nicht ein ande-
rer gebauet hat; so kann er freylich Herr der
Thiere seyn; allein wenn er seines gleichen

sieht,

freyheit einfuͤhren, koͤnnen immer Zoll und
Acciſe hoͤher ſtellen. Der Geitz, der Samm-
lungstrieb, gehoͤrt auf dieſe Rechnung. Man
iſt ein Sclave, um einſt frey zu werden. Man
dient als Soldat, um nicht als Buͤrger zu ge-
horchen. Man iſt Ehemann, man iſt ein
Sclave, um zu glauben, man ſey frey.
Selbſt dieſer ſo ausgeartete Trieb fuͤhrt, oder
koͤnnte uns auf den Punkt fuͤhren, den Chri-
ſtus angab. Er ſey bey uns alle Tage bis an
der Welt Ende! zu einer Theokratie, wo jeder
dem andern laͤßt, was er hat, wo im erha-
benſten Sinn jeder fuͤr ſich und Gott fuͤr uns
alle iſt. Wo wir nicht meſſen und waͤgen,
wo alles in den Tag hinein lebt — Dieſe guͤl-
dene Zeit, dieſes mannbare Weltalter, wenn
wird es kommen? Wenn die leibliche Theo-
kratie, wenn die Geiſtliche? das Reich der
Gnaden und der Herrlichkeit? Amen! Komm,
du ſchoͤne Freudenkrone! ſingt meine Frau! —

Dies iſt das Paradies aus Grundſaͤtzen,
das ſich der Menſch ſelbſt bauen kann.

Denkt man ſich aber einen verwilderten
Naturmenſchen, der gewis in keinem Para-
dieſe ſeyn wird, wenn es ihm nicht ein ande-
rer gebauet hat; ſo kann er freylich Herr der
Thiere ſeyn; allein wenn er ſeines gleichen

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[186/0192] freyheit einfuͤhren, koͤnnen immer Zoll und Acciſe hoͤher ſtellen. Der Geitz, der Samm- lungstrieb, gehoͤrt auf dieſe Rechnung. Man iſt ein Sclave, um einſt frey zu werden. Man dient als Soldat, um nicht als Buͤrger zu ge- horchen. Man iſt Ehemann, man iſt ein Sclave, um zu glauben, man ſey frey. Selbſt dieſer ſo ausgeartete Trieb fuͤhrt, oder koͤnnte uns auf den Punkt fuͤhren, den Chri- ſtus angab. Er ſey bey uns alle Tage bis an der Welt Ende! zu einer Theokratie, wo jeder dem andern laͤßt, was er hat, wo im erha- benſten Sinn jeder fuͤr ſich und Gott fuͤr uns alle iſt. Wo wir nicht meſſen und waͤgen, wo alles in den Tag hinein lebt — Dieſe guͤl- dene Zeit, dieſes mannbare Weltalter, wenn wird es kommen? Wenn die leibliche Theo- kratie, wenn die Geiſtliche? das Reich der Gnaden und der Herrlichkeit? Amen! Komm, du ſchoͤne Freudenkrone! ſingt meine Frau! — Dies iſt das Paradies aus Grundſaͤtzen, das ſich der Menſch ſelbſt bauen kann. Denkt man ſich aber einen verwilderten Naturmenſchen, der gewis in keinem Para- dieſe ſeyn wird, wenn es ihm nicht ein ande- rer gebauet hat; ſo kann er freylich Herr der Thiere ſeyn; allein wenn er ſeines gleichen ſieht,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/192>, abgerufen am 24.11.2024.