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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Was kann es dem lieben Gott helfen,
wenn ich, dem lieben Gott zu Ehren, meiner
begangnen Sünden halber einen Trauerrock
anlege, mit Klötzen an den Füßen gehe? das
nenn ich, die edle Zeit tödten und Sünden
mit Sünden häufen. Anstatt Leide zu tragen
um meinen Todten, erzieh ich meine übrigen
Kinder und sage zum verstorbenen Sohne:
ruhe wohl! Es besser machen, durch Scha-
den klug, wie neu gebohren werden, ein ander
Leben anfangen, das heißt: Buße thun, und
dies führt die Vergebung der Sünden mit sich.
Das Bewußtseyn einer guten That, wodurch
wir uns am Morgen des neuen Lebens aus-
zeichnen, vertreibt die vorige finstre Nacht der
Sünden! -- Es ist so, als wenn man ein
frisches Hemd anzieht! -- Ist die Sünde
zu ersetzen, gilt vor dem Ersatz keine andre
gute Handlung? Mit zinsenreichem Ersatz
fängt sich das Werk der Bekehrung an. Ist
aber diese Genugthuung nicht möglich; so
nehm ich die Einbildungskraft zu Hülfe und
stelle mir jemand dar, dem ichs vergelte, dem
ich in des beleidigten Namen Gutes thue!
in eines Jüngers Namen ein Glas Wasser
reiche. Gott! denk ich, hat doch einmal ei-
nen vollkommnen Menschen gesehen, Jesum

Chri-

Was kann es dem lieben Gott helfen,
wenn ich, dem lieben Gott zu Ehren, meiner
begangnen Suͤnden halber einen Trauerrock
anlege, mit Kloͤtzen an den Fuͤßen gehe? das
nenn ich, die edle Zeit toͤdten und Suͤnden
mit Suͤnden haͤufen. Anſtatt Leide zu tragen
um meinen Todten, erzieh ich meine uͤbrigen
Kinder und ſage zum verſtorbenen Sohne:
ruhe wohl! Es beſſer machen, durch Scha-
den klug, wie neu gebohren werden, ein ander
Leben anfangen, das heißt: Buße thun, und
dies fuͤhrt die Vergebung der Suͤnden mit ſich.
Das Bewußtſeyn einer guten That, wodurch
wir uns am Morgen des neuen Lebens aus-
zeichnen, vertreibt die vorige finſtre Nacht der
Suͤnden! — Es iſt ſo, als wenn man ein
friſches Hemd anzieht! — Iſt die Suͤnde
zu erſetzen, gilt vor dem Erſatz keine andre
gute Handlung? Mit zinſenreichem Erſatz
faͤngt ſich das Werk der Bekehrung an. Iſt
aber dieſe Genugthuung nicht moͤglich; ſo
nehm ich die Einbildungskraft zu Huͤlfe und
ſtelle mir jemand dar, dem ichs vergelte, dem
ich in des beleidigten Namen Gutes thue!
in eines Juͤngers Namen ein Glas Waſſer
reiche. Gott! denk ich, hat doch einmal ei-
nen vollkommnen Menſchen geſehen, Jeſum

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[234/0240] Was kann es dem lieben Gott helfen, wenn ich, dem lieben Gott zu Ehren, meiner begangnen Suͤnden halber einen Trauerrock anlege, mit Kloͤtzen an den Fuͤßen gehe? das nenn ich, die edle Zeit toͤdten und Suͤnden mit Suͤnden haͤufen. Anſtatt Leide zu tragen um meinen Todten, erzieh ich meine uͤbrigen Kinder und ſage zum verſtorbenen Sohne: ruhe wohl! Es beſſer machen, durch Scha- den klug, wie neu gebohren werden, ein ander Leben anfangen, das heißt: Buße thun, und dies fuͤhrt die Vergebung der Suͤnden mit ſich. Das Bewußtſeyn einer guten That, wodurch wir uns am Morgen des neuen Lebens aus- zeichnen, vertreibt die vorige finſtre Nacht der Suͤnden! — Es iſt ſo, als wenn man ein friſches Hemd anzieht! — Iſt die Suͤnde zu erſetzen, gilt vor dem Erſatz keine andre gute Handlung? Mit zinſenreichem Erſatz faͤngt ſich das Werk der Bekehrung an. Iſt aber dieſe Genugthuung nicht moͤglich; ſo nehm ich die Einbildungskraft zu Huͤlfe und ſtelle mir jemand dar, dem ichs vergelte, dem ich in des beleidigten Namen Gutes thue! in eines Juͤngers Namen ein Glas Waſſer reiche. Gott! denk ich, hat doch einmal ei- nen vollkommnen Menſchen geſehen, Jeſum Chri-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/240>, abgerufen am 27.11.2024.