Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

wird niemand den Herrn sehen! Gott laß
mich so leben, so sterben!


Leidenschaften sind Engel und können Teu-
fel werden. Sie sind Beförderer, Mitwür-
ker des Guten. Sie geben Spannkraft und
Thätigkeit den Müden! -- Wärme und Leben
dem Kaltgewordenen.

Wohl dem, der sich der Leidenschaften zu
seinem eigenen und zum Vortheil seines Näch-
sten bedient, der alles zu edlen Absichten lenkt!
Hat doch jemand gesagt, das Ungeziefer wäre
blos da, um die Faulen zur Arbeit zu trei-
ben! -- Daß dich doch die Mücke dafür
stäche! --


Noch nie hat sich ein Mensch seiner Sün-
den als Sünden gerühmt. Er wolte viel-
mehr durch diese seine Offenherzigkeit den an-
dern auf das Gute aufmerksam machen, was
in diesem Bösen lag. Wer Böses von sich
sagt, ist oft der feinste Lobredner auf sich.
Man denkt, er wolle sich was Leides thun;
allein er thut sich was zu gut, so wie sich
niemand ums Leben bringt, der in aller Welt

Augen

wird niemand den Herrn ſehen! Gott laß
mich ſo leben, ſo ſterben!


Leidenſchaften ſind Engel und koͤnnen Teu-
fel werden. Sie ſind Befoͤrderer, Mitwuͤr-
ker des Guten. Sie geben Spannkraft und
Thaͤtigkeit den Muͤden! — Waͤrme und Leben
dem Kaltgewordenen.

Wohl dem, der ſich der Leidenſchaften zu
ſeinem eigenen und zum Vortheil ſeines Naͤch-
ſten bedient, der alles zu edlen Abſichten lenkt!
Hat doch jemand geſagt, das Ungeziefer waͤre
blos da, um die Faulen zur Arbeit zu trei-
ben! — Daß dich doch die Muͤcke dafuͤr
ſtaͤche! —


Noch nie hat ſich ein Menſch ſeiner Suͤn-
den als Suͤnden geruͤhmt. Er wolte viel-
mehr durch dieſe ſeine Offenherzigkeit den an-
dern auf das Gute aufmerkſam machen, was
in dieſem Boͤſen lag. Wer Boͤſes von ſich
ſagt, iſt oft der feinſte Lobredner auf ſich.
Man denkt, er wolle ſich was Leides thun;
allein er thut ſich was zu gut, ſo wie ſich
niemand ums Leben bringt, der in aller Welt

Augen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="237"/>
wird niemand den Herrn &#x017F;ehen! Gott laß<lb/>
mich &#x017F;o leben, &#x017F;o &#x017F;terben!</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Leiden&#x017F;chaften &#x017F;ind Engel und ko&#x0364;nnen Teu-<lb/>
fel werden. Sie &#x017F;ind Befo&#x0364;rderer, Mitwu&#x0364;r-<lb/>
ker des Guten. Sie geben Spannkraft und<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit den Mu&#x0364;den! &#x2014; Wa&#x0364;rme und Leben<lb/>
dem Kaltgewordenen.</p><lb/>
        <p>Wohl dem, der &#x017F;ich der Leiden&#x017F;chaften zu<lb/>
&#x017F;einem eigenen und zum Vortheil &#x017F;eines Na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten bedient, der alles zu edlen Ab&#x017F;ichten lenkt!<lb/>
Hat doch jemand ge&#x017F;agt, das Ungeziefer wa&#x0364;re<lb/>
blos da, um die Faulen zur Arbeit zu trei-<lb/>
ben! &#x2014; Daß dich doch die Mu&#x0364;cke dafu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;che! &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Noch nie hat &#x017F;ich ein Men&#x017F;ch &#x017F;einer Su&#x0364;n-<lb/>
den als Su&#x0364;nden geru&#x0364;hmt. Er wolte viel-<lb/>
mehr durch die&#x017F;e &#x017F;eine Offenherzigkeit den an-<lb/>
dern auf das Gute aufmerk&#x017F;am machen, was<lb/>
in die&#x017F;em Bo&#x0364;&#x017F;en lag. Wer Bo&#x0364;&#x017F;es von &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;agt, i&#x017F;t oft der fein&#x017F;te Lobredner auf &#x017F;ich.<lb/>
Man denkt, er wolle &#x017F;ich was Leides thun;<lb/>
allein er thut &#x017F;ich was zu gut, &#x017F;o wie &#x017F;ich<lb/>
niemand ums Leben bringt, der in aller Welt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Augen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0243] wird niemand den Herrn ſehen! Gott laß mich ſo leben, ſo ſterben! Leidenſchaften ſind Engel und koͤnnen Teu- fel werden. Sie ſind Befoͤrderer, Mitwuͤr- ker des Guten. Sie geben Spannkraft und Thaͤtigkeit den Muͤden! — Waͤrme und Leben dem Kaltgewordenen. Wohl dem, der ſich der Leidenſchaften zu ſeinem eigenen und zum Vortheil ſeines Naͤch- ſten bedient, der alles zu edlen Abſichten lenkt! Hat doch jemand geſagt, das Ungeziefer waͤre blos da, um die Faulen zur Arbeit zu trei- ben! — Daß dich doch die Muͤcke dafuͤr ſtaͤche! — Noch nie hat ſich ein Menſch ſeiner Suͤn- den als Suͤnden geruͤhmt. Er wolte viel- mehr durch dieſe ſeine Offenherzigkeit den an- dern auf das Gute aufmerkſam machen, was in dieſem Boͤſen lag. Wer Boͤſes von ſich ſagt, iſt oft der feinſte Lobredner auf ſich. Man denkt, er wolle ſich was Leides thun; allein er thut ſich was zu gut, ſo wie ſich niemand ums Leben bringt, der in aller Welt Augen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/243
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/243>, abgerufen am 27.11.2024.