Ich weiß nichts hinzuzufügen, als daß die Frau v. W -- sehr gerne ihrem Gemahl zu Gefallen, des Herrn v. G -- halber Trauer anlegte. Herr v. W -- that so, als ob Jun- ker Gotthard schon würklich sein Schwieger- sohn wäre. Beym Herrn v. W -- blieb es bey der Trauer; allein seine Gemahlin war so betrübt, daß die Schmähsucht zum Glimpf und Namenbruch, wie meine Mutter sich aus- drückte, Gelegenheit genommen hätte, wenn nicht vom seligen v. G -- und von der v. W -- die Rede gewesen. Herr v. G -- hatte von je her viel Freundschaft für die Frau v. W -- bewiesen. In seinem Glaubensbekenntniß stritt er ihr die Erbsünde im theologischen Sinne glatt ab. Gott schuf ihr Herz, pflegte er zu sagen, im stillen sanften Mondenstrahle! Sein Finger ist kenntlich. Sie ist das Lieb- chen der Natur. Sie nascht ihr, wie ein frommes Lämmchen, aus der Hand! -- Wie wahr! und wer war ein treuerer Natur- kenner als Herr v. G --?
Meine Mutter versicherte, daß nie eine Trauer besser gestanden, als der Frau v. W -- über ihren Freund! -- obgleich, fügte sie hinzu, sie beyde für Gott noch keine Ver-
wandte
Ich weiß nichts hinzuzufuͤgen, als daß die Frau v. W — ſehr gerne ihrem Gemahl zu Gefallen, des Herrn v. G — halber Trauer anlegte. Herr v. W — that ſo, als ob Jun- ker Gotthard ſchon wuͤrklich ſein Schwieger- ſohn waͤre. Beym Herrn v. W — blieb es bey der Trauer; allein ſeine Gemahlin war ſo betruͤbt, daß die Schmaͤhſucht zum Glimpf und Namenbruch, wie meine Mutter ſich aus- druͤckte, Gelegenheit genommen haͤtte, wenn nicht vom ſeligen v. G — und von der v. W — die Rede geweſen. Herr v. G — hatte von je her viel Freundſchaft fuͤr die Frau v. W — bewieſen. In ſeinem Glaubensbekenntniß ſtritt er ihr die Erbſuͤnde im theologiſchen Sinne glatt ab. Gott ſchuf ihr Herz, pflegte er zu ſagen, im ſtillen ſanften Mondenſtrahle! Sein Finger iſt kenntlich. Sie iſt das Lieb- chen der Natur. Sie naſcht ihr, wie ein frommes Laͤmmchen, aus der Hand! — Wie wahr! und wer war ein treuerer Natur- kenner als Herr v. G —?
Meine Mutter verſicherte, daß nie eine Trauer beſſer geſtanden, als der Frau v. W — uͤber ihren Freund! — obgleich, fuͤgte ſie hinzu, ſie beyde fuͤr Gott noch keine Ver-
wandte
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Ich weiß nichts hinzuzufuͤgen, als daß die
Frau v. W — ſehr gerne ihrem Gemahl zu
Gefallen, des Herrn v. G — halber Trauer
anlegte. Herr v. W — that ſo, als ob Jun-
ker Gotthard ſchon wuͤrklich ſein Schwieger-
ſohn waͤre. Beym Herrn v. W — blieb es
bey der Trauer; allein ſeine Gemahlin war
ſo betruͤbt, daß die Schmaͤhſucht zum Glimpf
und Namenbruch, wie meine Mutter ſich aus-
druͤckte, Gelegenheit genommen haͤtte, wenn
nicht vom ſeligen v. G — und von der v. W —
die Rede geweſen. Herr v. G — hatte von
je her viel Freundſchaft fuͤr die Frau v. W —
bewieſen. In ſeinem Glaubensbekenntniß
ſtritt er ihr die Erbſuͤnde im theologiſchen
Sinne glatt ab. Gott ſchuf ihr Herz, pflegte
er zu ſagen, im ſtillen ſanften Mondenſtrahle!
Sein Finger iſt kenntlich. Sie iſt das Lieb-
chen der Natur. Sie naſcht ihr, wie ein
frommes Laͤmmchen, aus der Hand! —
Wie wahr! und wer war ein treuerer Natur-
kenner als Herr v. G —?
Meine Mutter verſicherte, daß nie eine
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/278>, abgerufen am 27.11.2024.
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