des schönen Vergißmeinnicht. Mine, Mine, Mine! Ich vergesse dich nicht, ich vergesse dich nicht! --
Welke gelbe Blätter, das ist meine Wonne, wenn sie abfallen, ich lese und höre Gottes Wort; allein ich lege keine Sylbe bey! und je mehr ich mich fassen will; je ärger ists. So gehts mit den Leidenschaften, sagte dein Vater, je mehr man drückt, je elastischer sind sie! -- Ich, die ich keine Fliege auf dem Rücken liegen sehen konnte, wenn sie ans Fenster prall- te, und sich den Kopf stieß! Ich, die ich ihr aufhalf, obschon sie mich oft aus der Melodie sumsete, habe unschuldig Blut verrathen. O Mine! Ists Wun- der, daß mir der Blütenschnee wie ein Leichentuch vorkommt! O wenn wird es von mir heissen: ich liege und schlafe ohne Kummer! Wie lange soll ich noch fragen: Hüter, ist die Nacht schier hin? Wenn ruft Gott der Herr in mein Chaos: es werde Licht, und es wird Licht? Wenn fing ich im höhern Chor: der Tag ver- treibt die finstre Nacht?
Das
des ſchoͤnen Vergißmeinnicht. Mine, Mine, Mine! Ich vergeſſe dich nicht, ich vergeſſe dich nicht! —
Welke gelbe Blaͤtter, das iſt meine Wonne, wenn ſie abfallen, ich leſe und hoͤre Gottes Wort; allein ich lege keine Sylbe bey! und je mehr ich mich faſſen will; je aͤrger iſts. So gehts mit den Leidenſchaften, ſagte dein Vater, je mehr man druͤckt, je elaſtiſcher ſind ſie! — Ich, die ich keine Fliege auf dem Ruͤcken liegen ſehen konnte, wenn ſie ans Fenſter prall- te, und ſich den Kopf ſtieß! Ich, die ich ihr aufhalf, obſchon ſie mich oft aus der Melodie ſumſete, habe unſchuldig Blut verrathen. O Mine! Iſts Wun- der, daß mir der Bluͤtenſchnee wie ein Leichentuch vorkommt! O wenn wird es von mir heiſſen: ich liege und ſchlafe ohne Kummer! Wie lange ſoll ich noch fragen: Huͤter, iſt die Nacht ſchier hin? Wenn ruft Gott der Herr in mein Chaos: es werde Licht, und es wird Licht? Wenn fing ich im hoͤhern Chor: der Tag ver- treibt die finſtre Nacht?
Das
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des ſchoͤnen Vergißmeinnicht. Mine,
Mine, Mine! Ich vergeſſe dich nicht,
ich vergeſſe dich nicht! —
Welke gelbe Blaͤtter, das iſt meine
Wonne, wenn ſie abfallen, ich leſe und
hoͤre Gottes Wort; allein ich lege keine
Sylbe bey! und je mehr ich mich faſſen
will; je aͤrger iſts. So gehts mit den
Leidenſchaften, ſagte dein Vater, je mehr
man druͤckt, je elaſtiſcher ſind ſie! — Ich,
die ich keine Fliege auf dem Ruͤcken liegen
ſehen konnte, wenn ſie ans Fenſter prall-
te, und ſich den Kopf ſtieß! Ich, die ich
ihr aufhalf, obſchon ſie mich oft aus der
Melodie ſumſete, habe unſchuldig Blut
verrathen. O Mine! Iſts Wun-
der, daß mir der Bluͤtenſchnee wie ein
Leichentuch vorkommt! O wenn wird
es von mir heiſſen: ich liege und
ſchlafe ohne Kummer! Wie lange
ſoll ich noch fragen: Huͤter, iſt die
Nacht ſchier hin? Wenn ruft Gott
der Herr in mein Chaos: es werde
Licht, und es wird Licht? Wenn
fing ich im hoͤhern Chor: der Tag ver-
treibt die finſtre Nacht?
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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