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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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machten, so pilgermüde, so gottselig nieder,
daß ich wetten wollte, kein frommer Grabes-
wanderer hat eine beßere Nacht gehabt, als
sie. Des Morgens waren sie zwar immer
in -- ohne daß sie einen Türken gesehen; was
thut aber der Türke zur Sache? --

Wie ich mich verirre, ohne daß ich diese
Reise nach dem gelobten Lande mitmache!
Da bin ich wieder bey den vier lezten Din-
gen! --

Wer meiner Mutter einen Liebesdienst er-
weisen wollte, mußte von diesen vier lezten
Dingen mit ihr sprechen. Wenn es auf sie
angekommen wäre, hätte sie noch gern wenig-
stens ein leztes Ding darüber gewünscht, um
noch mehr drüber reden zu können, wenn nicht
die fünf, eine herzbrechende Zahl, drauf gefol-
get. Mein Vater sagte ihr, von den vier
Theilen Europens, von den vier Weltgegen-
den, von den vier Jahreszeiten, von den vier
Altern des Menschen, von den vier Tempera-
menten und vier Elementen, läßt sich leichter
reden, als von den vier lezten Dingen; allein
meine Mutter lies sich nicht abwendig machen.
Die vierte Zahl war ihr Liebling worden.
Es hat zwar, sagte sie, kein Auge gesehen,
kein Ohr gehöret, und ist in keines Menschen

Herz
D 5

machten, ſo pilgermuͤde, ſo gottſelig nieder,
daß ich wetten wollte, kein frommer Grabes-
wanderer hat eine beßere Nacht gehabt, als
ſie. Des Morgens waren ſie zwar immer
in — ohne daß ſie einen Tuͤrken geſehen; was
thut aber der Tuͤrke zur Sache? —

Wie ich mich verirre, ohne daß ich dieſe
Reiſe nach dem gelobten Lande mitmache!
Da bin ich wieder bey den vier lezten Din-
gen! —

Wer meiner Mutter einen Liebesdienſt er-
weiſen wollte, mußte von dieſen vier lezten
Dingen mit ihr ſprechen. Wenn es auf ſie
angekommen waͤre, haͤtte ſie noch gern wenig-
ſtens ein leztes Ding daruͤber gewuͤnſcht, um
noch mehr druͤber reden zu koͤnnen, wenn nicht
die fuͤnf, eine herzbrechende Zahl, drauf gefol-
get. Mein Vater ſagte ihr, von den vier
Theilen Europens, von den vier Weltgegen-
den, von den vier Jahreszeiten, von den vier
Altern des Menſchen, von den vier Tempera-
menten und vier Elementen, laͤßt ſich leichter
reden, als von den vier lezten Dingen; allein
meine Mutter lies ſich nicht abwendig machen.
Die vierte Zahl war ihr Liebling worden.
Es hat zwar, ſagte ſie, kein Auge geſehen,
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[57/0063] machten, ſo pilgermuͤde, ſo gottſelig nieder, daß ich wetten wollte, kein frommer Grabes- wanderer hat eine beßere Nacht gehabt, als ſie. Des Morgens waren ſie zwar immer in — ohne daß ſie einen Tuͤrken geſehen; was thut aber der Tuͤrke zur Sache? — Wie ich mich verirre, ohne daß ich dieſe Reiſe nach dem gelobten Lande mitmache! Da bin ich wieder bey den vier lezten Din- gen! — Wer meiner Mutter einen Liebesdienſt er- weiſen wollte, mußte von dieſen vier lezten Dingen mit ihr ſprechen. Wenn es auf ſie angekommen waͤre, haͤtte ſie noch gern wenig- ſtens ein leztes Ding daruͤber gewuͤnſcht, um noch mehr druͤber reden zu koͤnnen, wenn nicht die fuͤnf, eine herzbrechende Zahl, drauf gefol- get. Mein Vater ſagte ihr, von den vier Theilen Europens, von den vier Weltgegen- den, von den vier Jahreszeiten, von den vier Altern des Menſchen, von den vier Tempera- menten und vier Elementen, laͤßt ſich leichter reden, als von den vier lezten Dingen; allein meine Mutter lies ſich nicht abwendig machen. Die vierte Zahl war ihr Liebling worden. Es hat zwar, ſagte ſie, kein Auge geſehen, kein Ohr gehoͤret, und iſt in keines Menſchen Herz D 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/63>, abgerufen am 21.11.2024.