gierig war alles, den Spruch der Gnade zu hören, das: Ey, du frommer! allein weh! weh! rief die Prophetin, sie richtete sich so in die Höhe, daß sie mir ungewöhnlich groß vor- kam, der für fromm gehaltene sprach mit ei- nem Tone! mit einem Tone: ich bin ver- dammt! Die Amazonin fiel in Ohumacht -- Ein Weib, auch im Amazonenkleide, ist doch nur ein unausgebackener Mann! -- Die Pro- phetin ermunterte sie durch das schöne Lied: Du siehest, Mensch, wie fort und fort. Dies Lied half zusehends. -- Sie drückte mei- ner Mutter die Hand. Nicht eher, als dort, wünsch ich sie zu sehen, rief sie laut, recht als ob sie es dazu anlegte, daß auch die Unsichtba- ren es hören möchten -- Sie nahm noch aus- ser ihrer Kammerjungfer einen ihrer Bedien- ten in den Wagen, und hat keinen Scrupel mehr, und geht nicht weiter im Amazonen- kleide. -- Den dritten Tag nach ihrer heiligen Mutter Hintritt fiel sie in heiler Haut in eine dreystündige Ohnmacht -- und erwachte wie- der so, als wenn man ausgeschlafen hat. Sie hat würklich etwas, man weiß nicht was, er- fahren, wovon sie aber bis in ihren Tod, der kurze Zeit darauf folgte, keine Sylbe entdeckt hat. Ich habe diesem Vorfall eine Pension
von
F 3
gierig war alles, den Spruch der Gnade zu hoͤren, das: Ey, du frommer! allein weh! weh! rief die Prophetin, ſie richtete ſich ſo in die Hoͤhe, daß ſie mir ungewoͤhnlich groß vor- kam, der fuͤr fromm gehaltene ſprach mit ei- nem Tone! mit einem Tone: ich bin ver- dammt! Die Amazonin fiel in Ohumacht — Ein Weib, auch im Amazonenkleide, iſt doch nur ein unausgebackener Mann! — Die Pro- phetin ermunterte ſie durch das ſchoͤne Lied: Du ſieheſt, Menſch, wie fort und fort. Dies Lied half zuſehends. — Sie druͤckte mei- ner Mutter die Hand. Nicht eher, als dort, wuͤnſch ich ſie zu ſehen, rief ſie laut, recht als ob ſie es dazu anlegte, daß auch die Unſichtba- ren es hoͤren moͤchten — Sie nahm noch auſ- ſer ihrer Kammerjungfer einen ihrer Bedien- ten in den Wagen, und hat keinen Scrupel mehr, und geht nicht weiter im Amazonen- kleide. — Den dritten Tag nach ihrer heiligen Mutter Hintritt fiel ſie in heiler Haut in eine dreyſtuͤndige Ohnmacht — und erwachte wie- der ſo, als wenn man ausgeſchlafen hat. Sie hat wuͤrklich etwas, man weiß nicht was, er- fahren, wovon ſie aber bis in ihren Tod, der kurze Zeit darauf folgte, keine Sylbe entdeckt hat. Ich habe dieſem Vorfall eine Penſion
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die Hoͤhe, daß ſie mir ungewoͤhnlich groß vor-
kam, der fuͤr fromm gehaltene ſprach mit ei-
nem Tone! mit einem Tone: ich bin ver-
dammt! Die Amazonin fiel in Ohumacht —
Ein Weib, auch im Amazonenkleide, iſt doch
nur ein unausgebackener Mann! — Die Pro-
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Du ſieheſt, Menſch, wie fort und fort.
Dies Lied half zuſehends. — Sie druͤckte mei-
ner Mutter die Hand. Nicht eher, als dort,
wuͤnſch ich ſie zu ſehen, rief ſie laut, recht als
ob ſie es dazu anlegte, daß auch die Unſichtba-
ren es hoͤren moͤchten — Sie nahm noch auſ-
ſer ihrer Kammerjungfer einen ihrer Bedien-
ten in den Wagen, und hat keinen Scrupel
mehr, und geht nicht weiter im Amazonen-
kleide. — Den dritten Tag nach ihrer heiligen
Mutter Hintritt fiel ſie in heiler Haut in eine
dreyſtuͤndige Ohnmacht — und erwachte wie-
der ſo, als wenn man ausgeſchlafen hat. Sie
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/91>, abgerufen am 24.11.2024.
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