Blatternnarbe; allein im Ganzen schön! So gehts auch mit aller dißeitigen Heiligkeit! -- Die Liebe ist kein Portraitmahler. Sie mahlt die Seele! Sie mahlt den ganzen Menschen! Das Gute ist zu hören, das Schöne ist zu se- hen! Das Schöne erscheint von vorn, das Gute von hinten. Mine ist zu sehen und zu hören; mein Schutzengel desgleichen, wie er da um mich wallt, unsichtbar dem Werktags- auge! Der Mond scheint hell, der Tod reit schnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch? -- Singst du Holde? Apfelblüten vom Baum des Erkenntnißes Gutes und Böses waren auf ihrer Wange; jezt Blüthen vom Baum des Lebens. Mine, singst du? -- Hört sie fingen, sie ist des alten Herrn Tochter nicht mehr, sie ist meines Mannes Tochter und ih- rer Mutter Tochter! Wie schön sie singt! Es ist das Heyl uns kommen her! -- Wie eine Lerche wölbt sich ihr Gesang, wie eine Wachtel fällt er! Da steht sie! -- Wie ein Stern über meinem Haupte! O des schö- nen Morgensterns!
Also werd ich auch stehen, wenn mich wird heißen gehen mein Gott aus diesem Jammerthal!
Nun
Blatternnarbe; allein im Ganzen ſchoͤn! So gehts auch mit aller dißeitigen Heiligkeit! — Die Liebe iſt kein Portraitmahler. Sie mahlt die Seele! Sie mahlt den ganzen Menſchen! Das Gute iſt zu hoͤren, das Schoͤne iſt zu ſe- hen! Das Schoͤne erſcheint von vorn, das Gute von hinten. Mine iſt zu ſehen und zu hoͤren; mein Schutzengel desgleichen, wie er da um mich wallt, unſichtbar dem Werktags- auge! Der Mond ſcheint hell, der Tod reit ſchnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch? — Singſt du Holde? Apfelbluͤten vom Baum des Erkenntnißes Gutes und Boͤſes waren auf ihrer Wange; jezt Bluͤthen vom Baum des Lebens. Mine, ſingſt du? — Hoͤrt ſie fingen, ſie iſt des alten Herrn Tochter nicht mehr, ſie iſt meines Mannes Tochter und ih- rer Mutter Tochter! Wie ſchoͤn ſie ſingt! Es iſt das Heyl uns kommen her! — Wie eine Lerche woͤlbt ſich ihr Geſang, wie eine Wachtel faͤllt er! Da ſteht ſie! — Wie ein Stern uͤber meinem Haupte! O des ſchoͤ- nen Morgenſterns!
Alſo werd ich auch ſtehen, wenn mich wird heißen gehen mein Gott aus dieſem Jammerthal!
Nun
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0098"n="92"/>
Blatternnarbe; allein im Ganzen ſchoͤn! So<lb/>
gehts auch mit aller dißeitigen Heiligkeit! —<lb/>
Die Liebe iſt kein Portraitmahler. Sie mahlt<lb/>
die Seele! Sie mahlt den ganzen Menſchen!<lb/>
Das Gute iſt zu hoͤren, das Schoͤne iſt zu ſe-<lb/>
hen! Das Schoͤne erſcheint von vorn, das<lb/>
Gute von hinten. Mine iſt zu ſehen und zu<lb/>
hoͤren; mein Schutzengel desgleichen, wie er<lb/>
da um mich wallt, unſichtbar dem Werktags-<lb/>
auge! Der Mond ſcheint hell, der Tod reit<lb/>ſchnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch?<lb/>— Singſt du Holde? Apfelbluͤten vom Baum<lb/>
des Erkenntnißes Gutes und Boͤſes waren<lb/>
auf ihrer Wange; jezt Bluͤthen vom Baum<lb/>
des Lebens. Mine, ſingſt du? — Hoͤrt ſie<lb/>
fingen, ſie iſt des alten Herrn Tochter nicht<lb/>
mehr, ſie iſt meines Mannes Tochter und ih-<lb/>
rer Mutter Tochter! Wie ſchoͤn ſie ſingt!<lb/><hirendition="#fr">Es iſt das Heyl uns kommen her</hi>! —<lb/>
Wie eine Lerche woͤlbt ſich ihr Geſang, wie<lb/>
eine Wachtel faͤllt er! Da ſteht ſie! — Wie<lb/>
ein Stern uͤber meinem Haupte! O des ſchoͤ-<lb/>
nen Morgenſterns!</p><lb/><lgtype="poem"><l>Alſo werd ich auch ſtehen,</l><lb/><l>wenn mich wird heißen gehen</l><lb/><l>mein Gott aus dieſem Jammerthal!</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nun</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[92/0098]
Blatternnarbe; allein im Ganzen ſchoͤn! So
gehts auch mit aller dißeitigen Heiligkeit! —
Die Liebe iſt kein Portraitmahler. Sie mahlt
die Seele! Sie mahlt den ganzen Menſchen!
Das Gute iſt zu hoͤren, das Schoͤne iſt zu ſe-
hen! Das Schoͤne erſcheint von vorn, das
Gute von hinten. Mine iſt zu ſehen und zu
hoͤren; mein Schutzengel desgleichen, wie er
da um mich wallt, unſichtbar dem Werktags-
auge! Der Mond ſcheint hell, der Tod reit
ſchnell, ihr lieben Leutlein graut euch auch?
— Singſt du Holde? Apfelbluͤten vom Baum
des Erkenntnißes Gutes und Boͤſes waren
auf ihrer Wange; jezt Bluͤthen vom Baum
des Lebens. Mine, ſingſt du? — Hoͤrt ſie
fingen, ſie iſt des alten Herrn Tochter nicht
mehr, ſie iſt meines Mannes Tochter und ih-
rer Mutter Tochter! Wie ſchoͤn ſie ſingt!
Es iſt das Heyl uns kommen her! —
Wie eine Lerche woͤlbt ſich ihr Geſang, wie
eine Wachtel faͤllt er! Da ſteht ſie! — Wie
ein Stern uͤber meinem Haupte! O des ſchoͤ-
nen Morgenſterns!
Alſo werd ich auch ſtehen,
wenn mich wird heißen gehen
mein Gott aus dieſem Jammerthal!
Nun
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/98>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.