Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli- gionsempfindung sich leiten, durch keine Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu Gesetzen bequemen werde; und so liege denn die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als man es gemeiniglich denke. -- Lieber! wie kannst du fordern, dass das Menschenge- schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be- finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen und jene Religionsempfindungen, wenn sie nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein- zig und allein Unglauben und Misstrauen in Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie zur Achtung für Pflicht gebracht werden? Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens gelangen: sei vernünftig? -- Sollen denn Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische Vernunft und das Sittengesetz gelten --? Wird er sich nie so weit erheben, seiner geistigen Natur würdig zu seyn, und für das, was er nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas- sen --? Soll denn bloss Weichheit des Tem- peraments ihn zur Neigung bringen? oder giebt es auch ausser der Temperamentsneigung,
Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli- gionsempfindung sich leiten, durch keine Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu Gesetzen bequemen werde; und so liege denn die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als man es gemeiniglich denke. — Lieber! wie kannst du fordern, daſs das Menschenge- schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be- finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen und jene Religionsempfindungen, wenn sie nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein- zig und allein Unglauben und Miſstrauen in Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie zur Achtung für Pflicht gebracht werden? Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens gelangen: sei vernünftig? — Sollen denn Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische Vernunft und das Sittengesetz gelten —? Wird er sich nie so weit erheben, seiner geistigen Natur würdig zu seyn, und für das, was er nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas- sen —? Soll denn bloſs Weichheit des Tem- peraments ihn zur Neigung bringen? oder giebt es auch auſser der Temperamentsneigung,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0196"n="188"/>
Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli-<lb/>
gionsempfindung sich leiten, durch keine<lb/>
Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu<lb/>
Gesetzen bequemen werde; und so liege denn<lb/>
die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als<lb/>
man es gemeiniglich denke. — Lieber! wie<lb/>
kannst du fordern, daſs das Menschenge-<lb/>
schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be-<lb/>
finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen<lb/>
und jene Religionsempfindungen, wenn sie<lb/>
nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein-<lb/>
zig und allein Unglauben und Miſstrauen in<lb/>
Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie<lb/>
zur Achtung für Pflicht gebracht werden?<lb/>
Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens<lb/>
gelangen: sei vernünftig? — Sollen denn<lb/>
Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische<lb/>
Vernunft und das Sittengesetz gelten —? Wird<lb/>
er sich nie so weit erheben, seiner geistigen<lb/>
Natur würdig zu seyn, und für das, was er<lb/>
nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas-<lb/>
sen —? Soll denn bloſs Weichheit des Tem-<lb/>
peraments ihn zur Neigung bringen? oder<lb/>
giebt es auch auſser der Temperamentsneigung,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[188/0196]
Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli-
gionsempfindung sich leiten, durch keine
Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu
Gesetzen bequemen werde; und so liege denn
die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als
man es gemeiniglich denke. — Lieber! wie
kannst du fordern, daſs das Menschenge-
schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be-
finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen
und jene Religionsempfindungen, wenn sie
nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein-
zig und allein Unglauben und Miſstrauen in
Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie
zur Achtung für Pflicht gebracht werden?
Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens
gelangen: sei vernünftig? — Sollen denn
Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische
Vernunft und das Sittengesetz gelten —? Wird
er sich nie so weit erheben, seiner geistigen
Natur würdig zu seyn, und für das, was er
nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas-
sen —? Soll denn bloſs Weichheit des Tem-
peraments ihn zur Neigung bringen? oder
giebt es auch auſser der Temperamentsneigung,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/196>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.