Weiss ich denn nicht, dass manche Frau bei manchem Manne auch jetzt sich wohl be- findet? Was indess bloss auf persönlicher Ge- sinnung beruhet, muss seiner Natur nach wandelbar seyn; und es ist auch bei den tole- rantesten Gesinnungen im Staate nothwendig, dass keine intolerante Stelle im Gesetzbuche bleibe. Wer steht für den Nachfolger im Reiche? Weiber wissen ihre Männer zu über- zeugen, als hätten Weiber keinen Willen. Doch eben wenn sie auf ihren Willen in bes- ter Form Rechtens Verzicht zu thun scheinen, werden sie Alleinherrscherinnen, ohne den starken Glauben ihrer Männer zu schwächen, als ob diese ganz allein regierten -- Sie re- gieren nicht mit Gewalt (vi), sondern heim- lich und bittweise (clam et precario).
Der Liebhaber glaubt in dem Dienst einer Göttin zu seyn, welche Apotheosen so sehr in ihrer Gewalt habe, wie Facultäten Doktorhüte. Der glückliche Geliebte dünkt sich wenigstens halb Gott, weil er so glücklich ist, einer sol- chen Gottheit zu dienen -- Erwacht er über ein Kleines aus diesem Traume; seht! so ver-
Weiſs ich denn nicht, daſs manche Frau bei manchem Manne auch jetzt sich wohl be- findet? Was indeſs bloſs auf persönlicher Ge- sinnung beruhet, muſs seiner Natur nach wandelbar seyn; und es ist auch bei den tole- rantesten Gesinnungen im Staate nothwendig, daſs keine intolerante Stelle im Gesetzbuche bleibe. Wer steht für den Nachfolger im Reiche? Weiber wissen ihre Männer zu über- zeugen, als hätten Weiber keinen Willen. Doch eben wenn sie auf ihren Willen in bes- ter Form Rechtens Verzicht zu thun scheinen, werden sie Alleinherrscherinnen, ohne den starken Glauben ihrer Männer zu schwächen, als ob diese ganz allein regierten — Sie re- gieren nicht mit Gewalt (vi), sondern heim- lich und bittweise (clam et precario).
Der Liebhaber glaubt in dem Dienst einer Göttin zu seyn, welche Apotheosen so sehr in ihrer Gewalt habe, wie Facultäten Doktorhüte. Der glückliche Geliebte dünkt sich wenigstens halb Gott, weil er so glücklich ist, einer sol- chen Gottheit zu dienen — Erwacht er über ein Kleines aus diesem Traume; seht! so ver-
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Weiſs ich denn nicht, daſs manche Frau
bei manchem Manne auch jetzt sich wohl be-
findet? Was indeſs bloſs auf persönlicher Ge-
sinnung beruhet, muſs seiner Natur nach
wandelbar seyn; und es ist auch bei den tole-
rantesten Gesinnungen im Staate nothwendig,
daſs keine intolerante Stelle im Gesetzbuche
bleibe. Wer steht für den Nachfolger im
Reiche? Weiber wissen ihre Männer zu über-
zeugen, als hätten Weiber keinen Willen.
Doch eben wenn sie auf ihren Willen in bes-
ter Form Rechtens Verzicht zu thun scheinen,
werden sie Alleinherrscherinnen, ohne den
starken Glauben ihrer Männer zu schwächen,
als ob diese ganz allein regierten — Sie re-
gieren nicht mit Gewalt (vi), sondern heim-
lich und bittweise (clam et precario).
Der Liebhaber glaubt in dem Dienst einer
Göttin zu seyn, welche Apotheosen so sehr in
ihrer Gewalt habe, wie Facultäten Doktorhüte.
Der glückliche Geliebte dünkt sich wenigstens
halb Gott, weil er so glücklich ist, einer sol-
chen Gottheit zu dienen — Erwacht er über
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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