Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf
den grossen Schauplatz des gemeinen Wesens,
einen für ihren Körper und ihre Seele so
fremden Boden, treten und männliche Rollen
spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich
debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem
Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben
den Weg gehen, den wir gingen, eben die
Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach
Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er-
ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie
das Ziel erreichen, dessen sie so würdig
sind -- Das Licht braucht beinahe acht Mi-
nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen,
und wir sehen die Veränderungen, die in der
Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach-
her. Pythagoras legte seinen Schülern zuvor
Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische
Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige
für Männer und Weiber seyn: für diese, um
nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen,
ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben;
für jene, von einem Geschlechte, das so lange
vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte

wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf
den groſsen Schauplatz des gemeinen Wesens,
einen für ihren Körper und ihre Seele so
fremden Boden, treten und männliche Rollen
spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich
debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem
Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben
den Weg gehen, den wir gingen, eben die
Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach
Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er-
ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie
das Ziel erreichen, dessen sie so würdig
sind — Das Licht braucht beinahe acht Mi-
nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen,
und wir sehen die Veränderungen, die in der
Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach-
her. Pythagoras legte seinen Schülern zuvor
Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische
Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige
für Männer und Weiber seyn: für diese, um
nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen,
ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben;
für jene, von einem Geschlechte, das so lange
vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="212"/>
wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf<lb/>
den gro&#x017F;sen Schauplatz des gemeinen Wesens,<lb/>
einen für ihren Körper und ihre Seele so<lb/>
fremden Boden, treten und männliche Rollen<lb/>
spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich<lb/>
debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem<lb/>
Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben<lb/>
den Weg gehen, den wir gingen, eben die<lb/>
Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach<lb/>
Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er-<lb/>
ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie<lb/>
das Ziel erreichen, dessen sie so würdig<lb/>
sind &#x2014; Das Licht braucht beinahe acht Mi-<lb/>
nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen,<lb/>
und wir sehen die Veränderungen, die in der<lb/>
Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach-<lb/>
her. <hi rendition="#i">Pythagoras</hi> legte seinen Schülern zuvor<lb/>
Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische<lb/>
Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige<lb/>
für Männer und Weiber seyn: für <hi rendition="#i">diese</hi>, um<lb/>
nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen,<lb/>
ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben;<lb/>
für <hi rendition="#i">jene</hi>, von einem Geschlechte, das so lange<lb/>
vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0220] wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf den groſsen Schauplatz des gemeinen Wesens, einen für ihren Körper und ihre Seele so fremden Boden, treten und männliche Rollen spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben den Weg gehen, den wir gingen, eben die Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er- ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie das Ziel erreichen, dessen sie so würdig sind — Das Licht braucht beinahe acht Mi- nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen, und wir sehen die Veränderungen, die in der Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach- her. Pythagoras legte seinen Schülern zuvor Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige für Männer und Weiber seyn: für diese, um nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen, ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben; für jene, von einem Geschlechte, das so lange vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/220
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/220>, abgerufen am 24.11.2024.