die Seelenvocale der Liebe und des Hasses; und wer versteht die Augensprache besser als die Weiber? Sie können vermittelst derselben lange Reden im Zusammenhange halten; und wer ist, der von dieser Beredsamkeit nicht ein Zeugniss abzulegen im Stande wäre? -- Sind es aber bloss die Augen, die bei den Weibern reden? Das ganze Leben der Weiber beste- het mehr im Reden als im Handeln: ihre Re- den sind gemeiniglich Handlungen; und wenn wir einen Mann verachten, dessen Leben eher ein Lexikon als eine Geschichte vorstellt, so ist dies nicht der Fall bei dem schönen Ge- schlechte, das gewaltiglich spricht -- Das Leben eines Weibes würde ein Conversations- Gemählde seyn -- wie bewunderungswerth ist es, selbst in anscheinend unwichtigen, oder so genannten Nebenfällen! Was Weiber sagen, fliesst oft weit mehr aus ihrem Herzen, als das, was Männer thun; und so haben ih- re Reden für den denkenden und empfinden- den Menschen auch oft mehr Interesse, als viele Handlungen der Männer. Durch Reden kann man, wenn ich mich so ausdrücken
die Seelenvocale der Liebe und des Hasses; und wer versteht die Augensprache besser als die Weiber? Sie können vermittelst derselben lange Reden im Zusammenhange halten; und wer ist, der von dieser Beredsamkeit nicht ein Zeugniſs abzulegen im Stande wäre? — Sind es aber bloſs die Augen, die bei den Weibern reden? Das ganze Leben der Weiber beste- het mehr im Reden als im Handeln: ihre Re- den sind gemeiniglich Handlungen; und wenn wir einen Mann verachten, dessen Leben eher ein Lexikon als eine Geschichte vorstellt, so ist dies nicht der Fall bei dem schönen Ge- schlechte, das gewaltiglich spricht — Das Leben eines Weibes würde ein Conversations- Gemählde seyn — wie bewunderungswerth ist es, selbst in anscheinend unwichtigen, oder so genannten Nebenfällen! Was Weiber sagen, flieſst oft weit mehr aus ihrem Herzen, als das, was Männer thun; und so haben ih- re Reden für den denkenden und empfinden- den Menschen auch oft mehr Interesse, als viele Handlungen der Männer. Durch Reden kann man, wenn ich mich so ausdrücken
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die Seelenvocale der Liebe und des Hasses;
und wer versteht die Augensprache besser als
die Weiber? Sie können vermittelst derselben
lange Reden im Zusammenhange halten; und
wer ist, der von dieser Beredsamkeit nicht ein
Zeugniſs abzulegen im Stande wäre? — Sind
es aber bloſs die Augen, die bei den Weibern
reden? Das ganze Leben der Weiber beste-
het mehr im Reden als im Handeln: ihre Re-
den sind gemeiniglich Handlungen; und wenn
wir einen Mann verachten, dessen Leben eher
ein Lexikon als eine Geschichte vorstellt, so
ist dies nicht der Fall bei dem schönen Ge-
schlechte, das gewaltiglich spricht — Das
Leben eines Weibes würde ein Conversations-
Gemählde seyn — wie bewunderungswerth ist
es, selbst in anscheinend unwichtigen, oder
so genannten Nebenfällen! Was Weiber
sagen, flieſst oft weit mehr aus ihrem Herzen,
als das, was Männer thun; und so haben ih-
re Reden für den denkenden und empfinden-
den Menschen auch oft mehr Interesse, als
viele Handlungen der Männer. Durch Reden
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/254>, abgerufen am 24.11.2024.
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